Ein geteiltes Land - Hängepartie in Italien

Rom. Silvio Berlusconi hat Italien weiterhin im Griff. So kann man das Ergebnis der Parlamentswahl in Italien zusammenfassen. Auch wenn der langjährige Ministerpräsident aufgrund des komplizierten Wahlrechts keine Regierungsverantwortung mehr übernehmen kann, behindert sein Wahlerfolg eine stabile Mehrheit jedweder Couleur

Rom. Silvio Berlusconi hat Italien weiterhin im Griff. So kann man das Ergebnis der Parlamentswahl in Italien zusammenfassen. Auch wenn der langjährige Ministerpräsident aufgrund des komplizierten Wahlrechts keine Regierungsverantwortung mehr übernehmen kann, behindert sein Wahlerfolg eine stabile Mehrheit jedweder Couleur. Berlusconis Bündnis aus Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL), Lega Nord und anderen Kleinparteien erreichte laut ersten Hochrechnungen im Senat die relative Mehrheit oder zumindest einen Gleichstand mit dem Mitte-Links-Bündnis um Pier Luigi Bersani. Im Abgeordnetenhaus zeichnete sich gestern Abend eine Mehrheit für Bersani ab. Auf den ersten Blick erreicht damit keines der politischen Lager eine Mehrheit und kann eine Regierung bilden. Theoretisch denkbar ist eine Große Koalition aus PdL und PD. Dies hatten die Protagonisten aber vor der Wahl ausgeschlossen.Entscheidend für den Ausgang der Wahl waren die Ergebnisse im Senat. Ohne Mehrheit der Senatoren ist sowohl die Bildung einer Regierung als auch das Verabschieden von Gesetzen unmöglich. Wie sich gestern am frühen Abend abzeichnete, erreichte Berlusconis Bündnis die meisten Stimmen in den Schlüsselregionen, die dem Sieger den größten Bonus und damit die Kontrolle des Senats garantieren. Darunter waren die Lombardei, Venetien, Sizilien und Kampanien. Nach dem komplizierten italienischen Wahlrecht genügen bereits die Abgeordneten dieser Regionen, um die Mehrheit im Senat zu erzielen.

In der Abstimmung zum Abgeordnetenhaus setzte sich die Mitte-Links-Partei Partito Democratico als stärkste Kraft durch. Der Sieger im Abgeordnetenhaus bekommt nach italienischem Wahlrecht automatisch einen Stimmenbonus und verfügt über knapp 55 Prozent der Abgeordneten.

"Unter diesen Umständen muss es Neuwahlen geben", sagte Enrico Letta, Vertreter des Mitte-Links-Bündnisses. "Das Land ist geteilt", kommentierte Alessandra Moretti aus dem Wahlkampfteam Bersanis. Parteisekretär Bersani, der noch vor Monaten auf einen bequemen Vorsprung zurückblicken konnte, dürfte wegen des schlechten Wahlergebnisses nun in die Kritik geraten. Der PD kam vor Monaten auf etwa 40 Prozent der Stimmen, Berlusconis Partei nach verschiedenen Skandalen des Ex-Ministerpräsidenten auf gerade einmal 15 Prozent. Schon im Wahlkampf hatte sich die Umkehr dieser Tendenz abgezeichnet. Das Ergebnis von gestern Abend galt bei den meisten Beobachtern in Rom jedoch als Überraschung.

Zwei weitere Faktoren tragen zur Patt-Situation bei. Besonders das Ergebnis des Movimento-5-Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) des Komikers Beppe Grillo ging weit über die Erwartungen hinaus. In weiten Landesteilen wurde die Fünf-Sterne-Bewegung stärkste Einzel-Partei. Bereits in den vergangenen Wochen hatte sich ein positives Ergebnis der Fünf-Sterne-Bewegung abgezeichnet. Sie versammelte in erster Linie Protestwähler hinter sich, die sich von den traditionellen Parteien abwendeten. Die Grillo-Bewegung steht aber auch für mehr Transparenz und das Ende der Privilegien der italienischen Politik. Dass sich insgesamt beinahe ein Viertel der Wähler für Grillo entschied, bekam offensichtlich besonders das Mitte-Links-Lager zu spüren.

Auch das schlechte Ergebnis der Bewegung Scelta Civica (Bürgerwahl) von Noch-Ministerpräsident Mario Monti beeinflusst die Mehrheitsbildung in beiden Kammern des Parlaments. Monti hatte sich mit zwei Kleinparteien des konservativen Zentrums verbündet. Deren Vorsitzende Pier Ferdinando Casini und Gianfranco Fini gelten bei vielen Wählern allerdings als politische Altlasten. Dass Monti landesweit nicht über zehn Prozent erreichte, dürfte auch auf diese missglückte Allianz zurückgehen. Monti dürfte aber sowohl dem PD als auch dem PdL die Stimmen abgejagt haben, die diesen Parteien und ihren Verbündeten ein Regieren ermöglicht hätten. Die wahrscheinlichsten Szenarien, die gestern durchgespielt wurden, waren zwei: Entweder einigen sich die großen Parteien zumindest auf wichtige Reformen wie etwa die des Wahlrechts. Eine länger angelegte Zusammenarbeit von PD und PdL unter Berlusconi ist auszuschließen. Die zweite Option sind baldige Neuwahlen. "Wenn die Dinge so bleiben, wird das nächste Parlament unregierbar sein."

Enrico Letta, Demokratische Partei (PD)

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