Ein General unter FeuerPolitik hält an Afghanistan-Strategie fest

Neu Delhi/Talokan. Der Gouverneur der nordafghanischen Provinz Tachar, Abdul Jabar Taqwa, empfängt hohen Besuch in seinem Büro. Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf für Nordafghanistan, Bundeswehr-General Markus Kneip, ist angereist

 General Markus Kneip, hier ein Archivfoto, kommandiert über 10 000 Soldaten, darunter rund 5000 deutsche. Foto: Thomas Koehler

General Markus Kneip, hier ein Archivfoto, kommandiert über 10 000 Soldaten, darunter rund 5000 deutsche. Foto: Thomas Koehler

Neu Delhi/Talokan. Der Gouverneur der nordafghanischen Provinz Tachar, Abdul Jabar Taqwa, empfängt hohen Besuch in seinem Büro. Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf für Nordafghanistan, Bundeswehr-General Markus Kneip, ist angereist. Unter den Teilnehmern des Sicherheitstreffens sind auch die Chefs der afghanischen Polizei und Armee für den Norden, die Generäle Daud Daud und Salmai Wesa. Was Gouverneur und Generäle nicht wissen: Unter den Sicherheitskräften, die sie eigentlich schützen sollen, ist mindestens ein Selbstmordattentäter der Taliban.Kneip ist am Samstagmorgen noch bei der Trauerfeier für einen vier Tage zuvor getöteten deutschen Soldaten in Kundus gewesen, bevor er nach Talokan aufbricht, Tachars Provinzhauptstadt. Als die Teilnehmer das Büro des Gouverneurs verlassen und auf dem Weg nach draußen sind, geht der Attentäter nach Angaben aus Sicherheitskreisen auf die Gruppe zu. Er soll eine Polizeiuniform getragen und Teil der Sicherheitskräfte gewesen sein. Am Eingang sprengt er sich in die Luft.

Ein deutscher Teilnehmer des Treffens beschreibt, er sei noch auf der Treppe gewesen, als es im Erdgeschoss zu einer Detonation gekommen sei. Anschließend seien Schüsse zu hören gewesen, möglicherweise sei Munition in dem Feuer detoniert, das nach der Explosion ausbrach. Ihm sei eine abenteuerliche Flucht aus dem Gebäude gelungen. Nach kurzer Zeit seien vom Bundeswehr-Camp in Talokan Soldaten angerückt.

General Kneip, unter dessen Kommando auch 640 Soldaten der Saarlandbrigade stehen, sagt "bild.de" gestern aus dem Feldlazarett heraus, in seiner unmittelbaren Umgebung habe es "eine ungeheure Explosion" gegeben. Zwei Soldaten aus Kastellaun (Hunsrück) und Hannover sterben. Kneip, drei Soldaten und eine Soldatin der Bundeswehr werden verwundet, die Soldatin schwer. Fallschirmjäger aus der Region sind nach SZ-Informationen nicht darunter.

Nie zuvor ist es den Taliban gelungen, einen General der Bundeswehr oder einer anderen Isaf-Nation zu treffen. Den internationalen Streitkräften versetzen die Aufständischen damit eine schwere psychologische Niederlage. Und die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihr bislang ranghöchstes Todesopfer zu beklagen: Nordafghanistans Polizeichef Daud ist unter den mindestens sieben Toten. Der Polizeichef Tachars gehört ebenfalls zu den Ermordeten. Der Gouverneur ist unter den neun Verletzten.

Gouverneur Taqwa tritt am Sonntag vor die Medien. Seine Hände und sein Gesicht sind bandagiert. Er sagt, es habe Hinweise auf einen Selbstmordattentäter gegeben. "Aber sie kennen den Spruch, dass der Dieb der Polizei immer ein paar Schritte voraus ist. Ich hätte nie erwartet, dass das passiert, weil wir einen sehr soliden Sicherheitsgürtel haben." Doch gegen Schläfer in Polizei und Armee, die bis zum "Märtyrertod" unauffällig Dienst tun, kann man sich kaum schützen.

Immer drängender stellt sich die Frage, wie stark Polizei und Armee unterwandert sind. Erst im Februar starben drei deutsche Soldaten, als ein afghanischer Soldat - vor den Augen von Lebacher Fallschirmjägern - das Feuer eröffnete. Der Anschlag vom Samstag aber ist in seiner Schwere ohne Beispiel. Die Folgen für die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Regierung um Sicherheit und Stabilität in dem Land sind noch gar nicht abzusehen.

Der Anschlag wirft die Frage auf, ob ausländische Soldaten den afghanischen Sicherheitskräften überhaupt noch trauen können. Vertrauen ist die Basis für die enge Zusammenarbeit, das Partnering. Bereits nach dem Vorfall im Februar hatten mehrere Soldaten zunächst nicht mehr mit Afghanen zusammenarbeiten wollen.

Berlin. Generalmajor Markus Kneip lässt sich nicht so leicht aus der Bahn werfen. Es hat nicht viel gefehlt, dann hätten die Selbstmordbomber von Talokan auch ihn mit in den Tod gerissen. Der 55-Jährige kam mit Verletzungen davon. Dem Isaf-Regionalkommandeur stehen nun schwere Wochen bevor. Er muss seinen Soldaten klar machen, warum sie trotz wiederholter Attacken uniformierter Attentäter weiter Vertrauen zu ihren afghanischen Partnern haben sollen.

Das Partnering, die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte in engster Zusammenarbeit ist das Kernelement der Afghanistan-Strategie des Westens. Derzeit ist die Ausbildung rein zahlenmäßig weiter vorangeschritten als geplant. Die Taliban haben sie inzwischen aber zu einem Hauptziel ihrer Guerilla-Strategie gemacht. Während die Fähigkeit der Taliban zu offenen Gefechten mit ihren Gegnern sinkt, konzentrieren sie sich nun auf andere Taktiken. Dazu zählt der Versuch, das Vertrauen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und ihren internationalen Partnern systematisch zu zerstören.

Eine Alternative zum Partnering gibt es nicht. Darin sind sich alle Parteien im Bundestag einig - mit Ausnahme der Linken, die für einen sofortigen Abzug ist. "Wenn wir die Sicherheit allmählich in afghanische Hände übergeben wollen, dann geht es nur so, dass wir es mit den Afghanen zusammen tun", sagte gestern Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU, Foto: dapd). Die politische Diskussion dreht sich deswegen eher darum, wie deutsche Soldaten besser gegen Attacken von vermeintlichen Verbündeten geschützt werden können. Die Amerikaner kümmern sich seit Jahren um die Speicherung von Fingerabrücken und Irismerkmalen, um die Afghanen in ihrem Umfeld besser identifizieren zu können. Im deutschen Zuständigkeitsbereich scheiterte das bisher an Regularien zum Datenschutz. De Maizière hatte zwar Ende April bei einem Besuch in Washington eine Übernahme des US-Verfahrens angekündigt. Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus musste bei seinem Afghanistan-Besuch vor einer Woche allerdings feststellen, dass noch nichts geschehen ist.

Auch über die militärischen Folgen des Anschlags wird diskutiert. Der CDU-Fachmann Ernst-Reinhard Beck plädierte dafür, eine Gegenoffensive zu starten, um Handlungsfähigkeit zu zeigen. Ein Zurückweichen vor den Aufständischen wird es jedenfalls nicht geben. "Sie dürfen und sie werden nicht das letzte Wort haben", versprach de Maizière gestern. dpa

Ich hätte

nie erwartet,

dass das passiert."

Abdul Jabar Taqwa,

Gouverneur der Provinz Tachar

Meinung

Nicht mehr zuzumuten

Von SZ-RedakteurDaniel Kirch

Der Westen steckt in Afghanistan gerade in einem klassischen Dilemma. Egal, wie die Regierungen nun handeln: Die Folgen könnten geradewegs in die Katastrophe führen. Ein übereilter Abzug ließe Afghanistan den Islamisten in die Hände fallen, mit allen Folgen für die Sicherheit unseres Landes. Andererseits ist es den Soldaten eigentlich nicht zuzumuten, mit afghanischen Sicherheitskräften zusammenarbeiten zu müssen, die jederzeit die Pistole zücken oder einen Sprengstoffgürtel zünden könnten - auch wenn es sich bislang um Einzelfälle handelt. In der Haut der Politiker in Berlin möchte man deshalb nicht stecken. Sie müssen nun alles tun, um wenigstens die Chance zur Erkennung uniformierter Schläfer zu verbessern. Sollte es wirklich so sein, dass ein besserer Schutz bisher an deutschen Datenschutz-Regeln scheitert, wäre das ein Offenbarungseid. Dann gälte: Mit solchen Politikern kann man keinen Krieg gewinnen.

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