„Ein ganz normales aufgewecktes Kerlchen“

München · Im NSU-Prozess hat die Mutter des mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt Vorwürfe gegen die Behörden erhoben. Von ihrem Sohn spricht sie dagegen vor dem Münchner Oberlandesgericht mit großer Wärme.

Beate Zschäpe hört dieser Zeugin aufmerksam zu, das macht sie nicht oft im NSU-Prozess. In diesem Fall könnte es daran liegen, dass die ihr gegenübersitzende Frau in einem normal verlaufenen Leben womöglich ihre Schwiegermutter geworden wäre. Brigitte Böhnhardt ist der mutmaßlichen Rechtsterroristin bis heute wohlgesonnen - in einer von Verschwörungstheorien getragenen Zeugenaussage versucht sie, den Behörden die Verantwortung für die NSU-Mordserie zu geben.

Es ist das erste Mal seit elf Jahren, dass Brigitte Böhnhardt und Zschäpe sich sehen. 2002 waren sie sich in Chemnitz begegnet. Vier Jahre, nachdem Zschäpe mit Böhnhardts Sohn - ihrem Freund Uwe - und mit Uwe Mundlos in den Untergrund gegangen war. Wegen des zumindest bis 2002 auch nach dem Untertauchen gepflegten Kontakt ist sie somit eine wichtige Zeugin. Sie kann zumindest einen kleinen Eindruck des geheimen Leben des Terrortrios geben.

Brigitte Böhnhardt spricht vor dem Münchner Oberlandesgericht mit großer Wärme von ihrem für beispiellose Straftaten verantwortlichen Sohn. "Uwe war unser dritter Sohn, ein Nachzügler, wenn Sie so wollen, ein Wunschkind. Er war ein ganz normales aufgewecktes Kerlchen," sagt sie Richter Manfred Götzl in ihrer Aussage.

Dass aus dem "aufgeweckten Kerlchen" zunächst schon in der DDR und danach nach der Wiedervereinigung ein Problemschüler wurde, führt sie auf die äußeren Umstände zurück. Zuerst der Russischunterricht, der zu schwierig war. Später nach der Einheit in Ostdeutschland die Schulreform, die ihn frustriert habe. Uwe schwänzte den Unterricht, flog von Schulen. Immer wieder sei sie zum Schulamt und Jugendamt gegangen und habe um Hilfe gebeten. Doch die Reaktionen seien immer dieselben gewesen: "Weiß ich nicht, kann ich nicht, Schulterzucken."

Es fällt auf, wie groß und grundsätzlich das Misstrauen von Brigitte Böhnhardt in die Behörden ist. So, wie sie den Ämtern die Verantwortung für das Scheitern der Schulkarriere gibt, gibt sie Polizei und Staatsanwaltschaft die Verantwortung für die Straftaten.

Die von diesem Misstrauen getragene Aussage der ehemaligen Lehrerin gipfelt darin, den Behörden die Schuld für die Mordserie des NSU zu geben. Im Jahr 1998, einige Monate nach dem Untertauchen des Trios und noch weit vor Beginn der Mordserie im September 2000, kam demnach ein Rechtsanwalt als Mittelsmann von Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft auf die Familie Böhnhardt zu. Der Anwalt habe gedroht, ihr Sohn müsse für zehn Jahre ins Gefängnis, wenn er gefasst werde. Doch falls er sich stelle, käme er mit fünf Jahren davon - und könnte bei guter Führung in zweieinhalb Jahren aus dem Gefängnis kommen.

Wie Brigitte Böhnhardt sagt, zogen die Behörden ihr Angebot aber im Frühjahr 1999 wieder zurück. "Wenn die Behörden zu ihrem Wort gestanden hätten, dann hätten wir alle drei überreden können, sich zu stellen", glaubt sie. In diesem Fall "wäre all das nicht geschehen".

Eine äußerst fragwürdige Sicht der Dinge - denn längst steht nicht fest, ob die Eltern das Trio wirklich hätten zur Aufgabe bewegen können. Trotz der Morde an neun Migranten und einer Polizistin versucht Böhnhardt auch die rechtsradikale Haltung ihres Sohns kleinzureden. Irgendwann habe sie ihn zu seinen Haltungen zur Rede gestellt. "Ich habe dann festgestellt, er plappert einfach irgendwelche Parolen nach."

Am Mittwoch soll ihre Vernehmung fortgesetzt werden. Dann bekommen die Anwälte der Opferangehörigen das Wort - und dürften die Sicht der Brigitte Böhnhardt auf die Mordserie des NSU kräftig hinterfragen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort