Ein Freispruch mit Zündstoff

Sanford · Der US-Mordprozess um den Tod des Schwarzen Trayvon Martin endet mit einem Paukenschlag. Der Todesschütze, ein Nachbarschaftswächter, wird freigesprochen. Das Urteil spaltet die Nation, Rassenunruhen drohen.

Genau 16 Stunden und 20 Minuten brauchte die Jury aus fünf weißen Frauen und einer Latina, um in Sanford, Florida, ein Urteil zu fällen, das ganz Amerika spaltet. "Wir erklären George Zimmerman für nicht schuldig." Der freigesprochene 29-Jährige zeigte in dem Moment keine Regung. Und das, obwohl er gerade einer lebenslangen Haft wegen Mordes an einem unbewaffneten schwarzen Jungen (17) entkommen ist.

Anders vor dem Gerichtsgebäude. Dort machten Hunderte Farbige aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl. "Keine Gerechtigkeit, kein Frieden", skandierten sie. Ein Satz, der in dieser Nacht auch durch die Straßen in Atlanta, Philadelphia, San Francisco und Washington hallte. "Rassismus lebt", war auf Plakaten zu lesen. Einige Bürgerrechtler riefen den heutigen Montag zum "Tag des Zorns" auf. Ihr Vorwurf: Wer die falsche Hautfarbe hat, so die Botschaft aus Sanford, lebt gefährlich. Ein Punkt, den auch die Staatsanwaltschaft von Anfang an hervorhob.

"Verdammte Dreckskerle", so rief Ankläger John Guy in seinem Eröffnungs-Plädoyer die Äußerungen des selbst erkorenen Nachbarschaftswächters Zimmerman gegenüber der Polizei in Erinnerung, als dieser den Schwarzen mit der Kapuze am 26. Februar 2012 meldete. "Die kommen immer davon." Der Afro-Amerikaner war auf dem Heimweg, mit Süßigkeiten und Eistee in der Tasche, die er sich vorher an einem Kiosk besorgt hatte. Die Beamten wiesen Zimmerman, einen Weißen lateinamerikanischer Abstammung an, im Auto zu bleiben. Statt sich daran zu halten, verfolgte er den Teenager mit seiner Neun-Millimeter-Pistole.

Was dann geschah, dazu gab es Widersprüche bei den 50 Zeugenaussagen: Attackierte Martin seinen Verfolger, den er Sekunden zuvor noch im letzten Handy-Telefonat mit seiner Freundin mit einem rassistischen Schimpfwort bedacht hatte? Oder war Zimmerman der Aggressor? Fest steht nur, dass am Ende der Farbige über dem Weißen lag, dessen Kopf mehrfach auf den Zementboden des Gehwegs schlug und ihm die Nase brach. Zimmerman zog seine halb automatische Waffe und erschoss den Jungen, die Kugel traf mitten ins Herz.

Am Ende folgten die Geschworenen aber der Notwehr-Argumentation der Verteidigung, während die Staatsanwaltschaft angesichts der dünnen Beweislage für einen Mord verzweifelt versucht hatte, bereits aus der Verfolgung des Jungen eine Haftbarkeit von Zimmerman abzuleiten. Der Behauptung der Anklage, die Tötung von Trayvon Martin sei vorsätzlich und aus Rassenhass erfolgt, wollten die Geschworenen nicht folgen: Im Zweifel für den Angeklagten, war ihre Leitlinie. Doch für jene, die Gerechtigkeit für Trayvon Martin fordern, ist das Urteil nur schwer zu ertragen. "Dies ist ein trauriger Tag in der Geschichte der US-Rechtsprechung", äußerte sich beispielsweise Bernice King, die Tochter des legendären Bürgerrechtlers Martin Luther King.

Die Farbigen-Organisation NAACP bezeichnete den Freispruch als "Travestie" und Verletzung fundamentaler Bürgerrechte. Das Verfahren war auch deshalb so emotionsgeladen, weil US-Präsident Barack Obama - selbst ein ausgebildeter Jurist - noch vor Beginn des Prozesses Partei ergriffen und geäußert hatte: "Wenn ich einen Sohn hätte, dann sähe er wie Trayvon aus."

Der Fall Trayvon Martin hatte auch aus anderen Gründen schnell eine rassistische Komponente erhalten: Die Polizei von Sanford hatte sich zunächst geweigert, Zimmerman zu verhaften. Viele Farbige stellten damals die Frage: Wäre dies auch der Fall gewesen, wenn der Todesschütze ein Schwarzer und das Opfer weiß gewesen wäre? Und für Afro-Amerikaner stand ebenfalls schnell fest: Die Verfolgung eines Kapuzenträgers schwarzer Hautfarbe war kein Zufall, sondern bewusstes "racial profiling".

Wie schwer der Ausgang des Verfahrens für die schwarze Minderheit in den USA zu ertragen ist, zeigt auch der Umstand, dass eine Online-Petition der NAACP bereits nahezu 100 000 Unterschriften erhielt. In ihr wird Justizminister Eric Holder aufgefordert, nun Zimmerman mit einer Zivilklage zu überziehen. Der Ärger sitzt so tief, dass es durchaus ähnliche Ausschreitungen wie nach dem Fall Rodney King geben könnte. Der Farbige war 1991 von vier Polizisten niedergeprügelt worden, ein Video ließ keinen Zweifel an dem Vorgang. Dennoch sprach eine nur mit Weißen besetzte Jury die Cops frei. Bei den folgenden Unruhen starben 55 Menschen.

Auch deshalb forderte Obama gestern die Amerikaner "zu ruhigem Nachdenken" auf. "Wir sind ein Rechtsstaat, die Jury hat entschieden", mahnte der US-Präsident.

Zum Thema:

HintergrundDer Tod Trayvon Martins (17) wühlt Amerika bereits seit anderthalb Jahren auf. Eine Chronologie der Ereignisse: 26. Februar 2012: In Sanford erschießt George Zimmerman, Mitglied einer Nachbarschaftshilfe, den unbewaffneten Teenager Martin. Zimmerman bleibt auf freien Fuß. 8. März 2012: Trayvons Eltern initiieren eine Internetpetition, in der sie die Strafverfolgung Zimmermans fordern. 19. März 2012: Das US-Justizministerium kündigt Ermittlungen an. 3. April 2012: Auch das FBI ermittelt. 11. April 2012: Die Staatsanwaltschaft klagt Zimmerman wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz an. 5. Juni 2012: Zimmerman kommt gegen eine Kaution von einer Million Dollar auf freien Fuß. 20. Juni 2013: Die Geschworenen für den Prozess werden gewählt. 24. Juni 2013: Der Prozess beginnt. Der Angeklagte beharrt auf Notwehr. 13. Juli 2013: Das Urteil: Die Geschworenen sehen keinen Mord mit bedingtem Vorsatz und sprechen Zimmermann nicht schuldig. dpa

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