Rom Ein braver Populist soll Italien regieren

Rom · Fünf Sterne und Lega wollen Juraprofessor Giuseppe Conte zum Ministerpräsidenten machen. Politische Erfahrung hat er nicht.

Wie ein Revolutionär sieht Giuseppe Conte nicht gerade aus. Der Juraprofessor, der auf dem besten Weg ist, italienischer Ministerpräsident einer von Populisten geführten Regierung zu werden, tritt ausgesprochen gepflegt auf. Stets erscheint er im Anzug. Conte liebt Westen, Manschettenknöpfe und Einstecktücher. Nicht ein graues Haar ist auf dem Kopf des 54-Jährigen zu erkennen.

Neben seiner Erscheinung wartet der wahrscheinlich künftige italienische Premierminister mit einer zweiten Überraschung auf: Der Süditaliener ist nicht nur katholisch, sondern verehrt auch einen der beliebtesten Heiligen in Italien, Pater Pio aus Pietralcina. Contes Geburtsort in Apulien, Volturara Appula, befindet sich eine Autostunde vom Grab des Heiligen entfernt. Kein Wunder, möchte man sagen. Auch der Chef der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, der Neapolitaner Luigi Di Maio, verehrt den Stadtheiligen Neapels, San Gennaro.

Conte ist kein Gewächs der erst 2009 vom Satiriker Beppe Grillo gegründeten Fünf-Sterne-Bewegung, steht ihr aber seit einigen Jahren nahe. 2014 loteten Parteimitglieder eine Kandidatur des Zivilrechtsprofessors für das Selbstverwaltungsorgan der italienischen Verwaltungsgerichtsbarkeit aus, der Jurist akzeptierte. Im Wahlkampf präsentierte Di Maio Conte schließlich als Ministerkandidat für Öffentliche Verwaltung und „Entbürokratisierung“. Der hemmenden und förderlichen Wirkung von Gesetzen widmete sich Conte in seinen Studien, die ihn zuletzt als Professor an die Universität Florenz sowie an die renommierte Privat­uni Luiss in Rom führten. Offenbar hat der Anwalt aber auch die Gabe, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Obwohl Conte zugibt, früher „links gewählt“ zu haben, genießt er nicht nur das große Vertrauen der Fünf-Sterne-Bewegung, sondern kann sich zudem einflussreicher Freundschaften rühmen. Zu seinen engeren Kontakten sollen die Ex-Ministerin Elena Maria Boschi sowie verschiedene Prälaten im Vatikan zählen.

Es ist nicht unbedingt das Profil, das man vom Führer einer Populisten-Regierung erwartet. Während die Fünf-Sterne-Bewegung ideologisch kaum in feste Schemata zu fassen ist, hat der Regierungspartner Lega ein klar nationalistisches und fremdenfeindliches Profil. Ursprünglich forderten Lega-Chef Matteo Salvini und Di Maio selbst das Amt des Ministerpräsidenten für sich, blockierten sich aber gegenseitig. Ein Kompromisskandidat musste gefunden werden. Am Montagabend teilten Di Maio und Salvini Staatspräsident Sergio Mattarella mit, dass Conte ihr gemeinsamer Kandidat sei.

In Italien erteilt der Staatspräsident dem Ministerpräsidenten das Mandat zur Regierungsbildung, er ernennt auch die Minister. Dass Mattarella elf Wochen nach der Parlamentswahl Conte grünes Licht gibt, gilt als wahrscheinlich. Allerdings soll das Staatsoberhaupt auch diverse Zweifel angemeldet haben. In erster Linie harrt die Frage einer Antwort, wie Conte ohne jegliche politische Erfahrung eine Exekutive mit sehr unterschiedlichen Partnern führen kann, die 2300 Milliarden Euro Staatsschulden verwaltet und die Neuverhandlungen einiger EU-Parameter fordert. Hinter diesen Zweifeln verbirgt sich die Sorge, der künftige italienische Premier könnte von Di Maio und Salvini ferngesteuert werden.

In dieser Hinsicht nicht gerade vertrauenfördernd wirken die Ungenauigkeiten im Lebenslauf des Universitätsprofessors. Conte gibt an, sein Jurastudium unter anderem an den Universitäten Yale, der Pariser Sorbonne, in Cambridge, Wien sowie an der New York University perfektioniert zu haben. Eine Nachfrage der New York Times ergab nun, dass in der Universitätsdatenbank der New York University kein Student oder Fakultätsmitglied mit dem Namen Giuseppe Conte verzeichnet ist. Conte will dort seinem Lebenslauf zufolge aber zwischen 2008 und 2012 jährlich mindestens einen Monat studiert haben. Das Internationale Kulturinstitut in Wien, an dem Conte laut Lebenslauf ebenfalls seine Jurastudien perfektioniert haben will, ist eine Sprachschule.

An Fleiß und wissenschaftlicher Produktivität Contes scheint es immerhin keine Zweifel zu geben. „Ich habe mein ganzes Leben mit Büchern verbracht“, sagt der Jurist, der geschieden ist und einen zehnjährigen Sohn hat. Seine Einstellung im Hinblick auf die Herausforderung als italienischer Ministerpräsident fasst ein Spruch zusammen, den Conte am Wochenende für sein Profilbild für den Kurznachrichtendienst Whatsapp gewählt hat: „Jede Leistung fängt mit der Entscheidung an, es zu versuchen.“

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