Ein Appell zur Aussöhnung

London. Man merkt es gleich: Mit Afghanistan-Konferenzen hat Hamid Karsai eine gewisse Erfahrung. Achteinhalb Jahre ist es schon her, dass der Mann mit der grauen Fellmütze zum Präsidenten der afghanischen Übergangsregierung gekürt wurde - damals übrigens auf dem Petersberg bei Bonn

London. Man merkt es gleich: Mit Afghanistan-Konferenzen hat Hamid Karsai eine gewisse Erfahrung. Achteinhalb Jahre ist es schon her, dass der Mann mit der grauen Fellmütze zum Präsidenten der afghanischen Übergangsregierung gekürt wurde - damals übrigens auf dem Petersberg bei Bonn. Vermutlich weiß der heute 52-Jährige selbst nicht mehr genau, wie viele internationale Treffen er seither hinter sich hat. Und immer ging es darum, wie sein geschundenes Land endlich auf den richtigen Weg gebracht werden kann. Kein Grund also, bei der großen Afghanistan-Konferenz im Londoner Lancaster House aufgeregt zu sein. Lässig legt Karsai vor den mehr als 70 Delegationen aus aller Welt zunächst einmal seinen grünen Umhang ab. Die Mütze behält er auf. Dann trägt er seinen neuesten "Aktionsplan" vor, wie Afghanistan von Taliban, Gewalt und Korruption befreit werden soll. Am meisten sticht der Appell zu einer nationalen Aussöhnung heraus. "Wir müssen allen Landsleuten die Hand reichen - vor allem den enttäuschten Brüdern, die nicht Teil von Al Qaida oder anderen terroristischen Netzwerken sind." Das ist das nochmalige Gesprächsangebot an mehr oder weniger "gemäßigte" Taliban, auf das in London alle gewartet haben. Zudem wird ein "Aussteigerprogramm" aufgelegt, für das allein Deutschland jedes Jahr 50 Millionen Euro zahlen will. In der zehnseitigen Abschlusserklärung heißt es später, man sei sich einig darin, dass nun eine "neue Phase auf dem Weg zu völliger afghanischer Eigenverantwortung" beginne. Karsai, dessen Ruf nach der manipulierten Präsidentenwahl 2009 angekratzt ist, verpflichtet sich zu mehr Anstrengungen. Er soll stärker in die Pflicht genommen werden - zum Beispiel beim Thema Korruption oder Rechte für Frauen. Begleitet werden soll die Suche nach "innerem Frieden", wenn es nach Karsai geht, vom saudischen König Abdullah. Der einflussreiche Monarch soll auch eine wichtige Rolle vor der geplanten Loja Dschirga spielen, der ersten großen Stammesversammlung in Afghanistan seit acht Jahren. Vom Abzug der derzeit rund 85 000 ausländischen Soldaten spricht Karsai in seiner Rede indes wenig. Zuvor hatte er in der BBC einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren genannt. Vielen kommt das wie eine kleine Ewigkeit vor.Aber mit einem genaueren Fahrplan hat im Lancaster House ohnehin keiner gerechnet. Auch die Deutschen nicht, die der Londoner Konferenz in den vergangenen Wochen erheblich mehr Bedeutung zumaßen als die meisten anderen. Eigens dafür wurde auch so etwas wie ein Wunsch-Szenario für das Ende des Bundeswehr-Einsatzes entwickelt: ein langer Abschied von 2011 bis 2014. Dafür wird in Kauf genommen, dass die Obergrenze für die Truppen zunächst einmal auf 5350 steigt. Das Thema spielt in London aber gar keine große Rolle - ein Erfolg für Außenminister Guido Westerwelle, der sich zur Jahreswende einigen Ärger mit der Bemerkung eingehandelt hatte, zu einer "Truppenstellerkonferenz" werde er gar nicht erst anreisen. Als Neuling bei einer Afghanistan-Konferenz tritt er aber auch so nur wenig in Erscheinung. Die Bühne gehört Karsai, Gastgeber Gordon Brown und US-Außenministerin Hillary Clinton. Beim traditionellen Familienfoto, wenn sich die Routiniers nach vorne drängeln, steht Westerwelle irgendwo in der Mitte. Im Lancaster House sitzt der Außenminister für Germany in der vorletzten Reihe - streng alphabetisch zwischen Georgien und Griechenland. Die Pressetermine mit ihm finden außerhalb statt. Dabei legt er Wert darauf, dass Karsai keinen "Blankoscheck" bekommen habe. Ansonsten freut sich der FDP-Chef darüber, dass es fürs neue deutsche Afghanistan-Konzept viel Zustimmung gab. "Wir liegen auch nach Ansicht von unseren Verbündeten richtig." Vorsichtshalber fügt er hinzu: "Ich behaupte nicht, dass das Konzept eine Garantie hat, erfolgreich zu sein. Nur: So weitermachen wie bisher, wäre mit Sicherheit erfolglos."Meinung

Jetzt kommt der gute Onkel

Von SZ-RedakteurinIris Neu Trägt eine Strategie kaum noch bescheidene Früchte, ist es höchste Zeit, sie zu wechseln. Diese Logik ist freilich einleuchtend. Und man hat beschlossen, in Afghanistan nun gründlich was zu ändern: Der militärische Haudegen soll sich umgehend in den guten Onkel verwandeln. Haut alles planmäßig hin - dank Karsai, einigen Ordnungskräften und einem großzügigen Geldgeschenk - sollen sich spätestens 2014 die Taliban und der Rest der Afghanen friedselig in den Armen liegen. Und alle Nicht-Einheimischen werden flugs ihre Sachen packen. Soll man nun zornig sein oder nur traurig angesichts dieser Mischung aus Ratlosigkeit und Augenwischerei im kühlen London? Und war es allzu kühn anzunehmen, dass bei dem Treffen von 70 Delegierten wirklich ein neues Kapitel aufgeschlagen würde - in Form einer Strategie beispielsweise, wie dem Drogengeschäft und damit dem Geldfluss an die Aufständischen der Hahn abgedreht werden kann?

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