Ein Anruf nach 13 Jahren

München · Man kann den „Nationalsozialistischen Untergrund“ politisch oder gesellschaftlich betrachten. Aufschlussreich ist aber auch ein Blick auf die Familien der Täter. Das zeigte gestern die Vernehmung von Ilona Mundlos.

Eine Tages, erzählt Ilona Mundlos, sei ihr Sohn in die Kaufhalle gekommen, wo sie arbeitete. "Mutti, es ist was passiert. Ich muss fort, ich brauch' Geld", habe Uwe gesagt. Was eigentlich passiert ist, erfährt sie später aus der Zeitung: Die Polizei hatte eine Garage durchsucht, die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gemeinsam nutzten. Die Ermittler fanden eine fertige und vier im Bau befindliche Rohrbomben und zahlreiche rechtsradikale Schriften. Zwei Tage später kam ihr Sohn nochmals vorbei. "Mutti, mit den Waffen habe ich nichts zu tun", habe er gesagt. Es drohten ihm sieben Jahre Haft. "Es dauert zehn Jahre, dann ist das verjährt, dann kann ich wiederkommen."

So schildert Ilona Mundlos gestern vor dem Oberlandesgericht München die letzte Begegnung mit ihrem Sohn Uwe. 13 Jahre später erhält sie einen Anruf, morgens um acht. Es meldet sich eine Beate. "Die Beate vom Uwe." Es sei etwas Schlimmes passiert: "Der Uwe ist nicht mehr, der Uwe lebt nicht mehr." Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach einem Banküberfall in Eisenach erschossen, um der Festnahme zu entgehen. Es war das Ende des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Man kann aus verschiedenen Perspektiven versuchen zu verstehen, wie eine solche Terrorgruppe entstehen konnte - und welche Bedingungen beförderten, dass sie sich so lange im Untergrund hielt. Der Prozess in München hat ein paar Erklärungsansätze ergeben: eine lebendige Neonazi-Szene in Jena unter den Augen des Verfassungsschutzes; ein Umfeld, in dem es "ganz normal" ist, irgendwie "rechts" zu sein und in dem sich niemand an einem Hitler-Porträt im Zimmer stört; selbstgewisse Ermittler, die bei Morden an Ausländern an alles denken, nur nicht an Fremdenfeindlichkeit.

Wahrscheinlich lohnt auch ein Blick auf die Familien: Ilona Mundlos berichtete gestern, wie ihr Sohn in dem Vier-Personen-Haushalt in Jena aufwuchs. Uwes älterer Bruder ist schwerstbehindert, er brauchte ihre ganze Aufmerksamkeit. Uwe hingegen habe sie "etwas aus den Augen verloren", sagt die 63-Jährige. Dass ihr Sohn zum Rechtsextremisten wurde, habe sie nicht mitbekommen. "Ich habe nur irgendwann gesehen, dass er diese Springerstiefel hatte", sagt sie. Einmal kam er in einer Braunhemd-Uniform nach Hause. "Da habe ich gesagt: Das will ich nie wieder sehen. Da hat er gesagt: Gut." Als er Hausverbot in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bekommt, findet sie das zwar schlimm - was genau passiert ist, will sie von ihm nicht wissen.

Es bleibt am Ende noch ein anderes Bild von der Vernehmung der Ilona Mundlos. Uwe habe sich gut mit seinem behinderten Bruder verstanden, sagt sie. Uwe habe das ausgeführt, was sein Bruder körperlich nicht machen konnte. "Und wenn sie eingeschlafen sind, haben sie sich die Hände gehalten."

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