Ein Agenten-Krimi wie im Kalten KriegAuch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch Moskauer Spione im Westen

Washington. Cynthia und Richard wollten echt wirken, wie eine typische amerikanische Familie aus Suburbia, der Welt der braven, monotonen Vororte mit ihren ovalen Briefkästen am Bürgersteig und den Basketballkörben neben der Garagenauffahrt

Washington. Cynthia und Richard wollten echt wirken, wie eine typische amerikanische Familie aus Suburbia, der Welt der braven, monotonen Vororte mit ihren ovalen Briefkästen am Bürgersteig und den Basketballkörben neben der Garagenauffahrt. Weil typische Amerikaner ihr Häuschen erwerben, statt zur Miete darin zu wohnen, bat das Paar in der Zentrale des russischen Auslandsgeheimdiensts um eine hübsche Summe. Für ihre Nachbarn in Montclair, einem beschaulichen Städtchen in New Jersey, sind Cynthia und Richard Murphy mustergültige Suburbia-Bewohner. Zwei wohlerzogene Töchter, der Vorgarten so gepflegt, wie es sich in Montclair gehört. "Das können unmöglich Spione sein. Schauen Sie nur, wie Cynthia die Hortensien in Schuss hält", sagt Jessie Gugig einem Reporter der "New York Times". In Wahrheit soll das ruhige, beliebte Ehepaar Teil eines geheimen russischen Netzwerks gewesen sein. Mindestens elf Agenten umfasste der Ring, der offenbar schon Anfang der neunziger Jahre in den Vereinigten Staaten zu operieren begann. Am Sonntag nahm das FBI zehn von ihnen fest, und die freigegebenen Gerichtspapiere, die nun zirkulieren, lesen sich wie Thriller-Passagen aus dem Kalten Krieg. Da tauschen Spione gleich aussehende Aktentaschen aus, während sie sich auf der Treppe eines belebten Bahnhofs begegnen. Da werden Pässe gefälscht, Dollarscheine bündelweise in einem Acker vergraben, Nachrichten mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Raffiniert bedienten sich die Murphys, wie sie wohl nur beim FBI heißen, der Möglichkeiten des Internets. So stellten sie Bilddateien ins Netz, in denen verschlüsselte Botschaften versteckt waren. Dann gab es noch die berühmten verbalen Erkennungszeichen, wie man sie aus James-Bond-Filmen kennt. "Kann es sein, dass wir uns 2004 in Peking begegnet sind?" "Ich glaube eher, es war in Harbin." Die meisten Aufgeflogenen lebten als Ehepaare zusammen, in Boston, in New York, in New Jersey und direkt vor den Toren der Hauptstadt in Arlington, wo das US-Verteidigungsministerium angesiedelt ist. Nahtlos sollten sie sich einfügen in ihre Nachbarschaft, Teil jener "Community" werden, in der man sich im Sommer zur Grillparty trifft und einander im Winter beim Schneeschippen hilft. Geduldig, auf lange Sicht sollten sie Kontakte knüpfen, zu Bankern ebenso wie zu Regierungsbeamten und Wissenschaftlern bekannter Denkfabriken. Michail Semenko, Ende 20, getarnt als Mitarbeiter eines Reisebüros, spricht neben Russisch und Englisch fließend Chinesisch und Spanisch - und fährt einen Mercedes der S-Klasse. Vicky Pelaez schrieb für eine spanischsprachige Zeitung in New York Reportagen. Was der Ring ausspionierte, bleibt gleichwohl im Vagen. Folgt man der Anklageschrift, ging es eine Zeit lang darum, mehr über die von George W. Bush forcierten Pläne zur Entwicklung bunkerbrechender Mini-Atombomben in Erfahrung zu bringen. Vor einer Moskau-Reise Barack Obamas sollte eingeschätzt werden, wie das Weiße Haus zu neuen Abrüstungsverträgen mit Russland und darüber hinaus zum iranischen Atomprogramm steht. Es sind Wertungen, wie jeder Diplomat sie treffen muss. Dass echte Geheimnisse geknackt wurden, darf man bezweifeln. Das FBI jedenfalls war der Gruppe schon auf der Spur, da saß noch Bill Clinton hinterm Schreibtisch des Oval Office. Die Wohnungen Verdächtiger wurden verwanzt, Telefonate mitgeschnitten, E-Mails mitgelesen. Als Detektive 2005 das Haus der Murphys durchsuchten, fanden sie ein Passwort mit 27 (!) Zeichen. Am Wochenende tappte ein Bote in die letzte Falle. In einem Park in Arlington wollte er ein Kuvert mit 5000 Dollar, unauffällig in eine Zeitung gesteckt, deponieren. Ein Bundespolizist wartete bereits auf ihn. Zufall oder nicht: Nicht weit von dem Park liegt die Imbissbude, in der Barack Obama und Dmitri Medwedew vor wenigen Tagen beim "Hamburger-Gipfel" ihre neue Freundschaft zelebriert hatten. War der amerikanische Präsident da schon im Bilde? Oder tappten beide, Obama wie Medwedew, im Dunkeln? Es sind Fragen, auf die es zunächst keine Antworten gab.Hamburg. Das Ende des Kalten Krieges hat nicht das Aus für Moskauer Spione im Westen bedeutet. Einige Beispiele: April 2009: Die Nato beschuldigt zwei russische Diplomaten der Spionage und weist sie aus dem Bündnis-Hauptquartier in Brüssel aus. Die Verdächtigen arbeiten für die russische Nato-Botschaft dort. Der Kreml in Moskau spricht von einer "groben Provokation". November 2002: Schweden verweist zwei russische Diplomaten wegen angeblicher Industriespionage des Landes. Die beiden sollen den Telekommunikationskonzern Ericsson ausgeforscht haben, der auch Radar und Raketentechnik für Kampfflugzeuge herstellt. März 2001: Washington greift durch und weist 50 mutmaßliche russische Spione mit Diplomatenstatus aus. Begründet wird das mit der Enttarnung des Moskauer FBI-Spions Robert Hanssen. Amerikanische Medien schätzten die Zahl russischer Agenten in den USA in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf 200 bis 400. 1997: Der FBI-Beamte Earl Edwin Pitts erhält in den USA wegen Spionage für Moskau eine Haftstrafe von 27 Jahren. Im gleichen Jahr wird der CIA-Angehörige Harold Nicholson wegen Agententätigkeit für Russland zu 23 Jahren verurteilt. 1994: Der CIA-Agent Aldrich Ames verrät bis zu seiner Festnahme 1994 innerhalb von neun Jahren mehr als 100 Geheimdienstaktionen an Moskau und muss mit lebenslanger Haft büßen. Mai 1996: Nach Spionagevorwürfen verfügen zunächst Moskau und dann London die Ausweisung von je vier Diplomaten der Gegenseite. 1989: Elf Sowjetbürger müssen wegen "unumstößlicher" Beweise für Agententätigkeit Großbritannien verlassen. Moskau reagiert mit derAusweisung von elf Briten.dpa

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