Brexit Brexit-Schlappe, die dritte

London · Erneut lehnt das britische Parlament den zwischen London und Brüssel verhandelten Austrittsdeal ab. Unklar ist, wie es nun weitergeht.

 Wieder einmal fiel Theresa Mays Bre­xit-Deal bei der Abstimmung im Unterhaus durch. Zwar nicht so krachend wie zuvor, aber dennoch deutlich.  Foto: House Of Commons/dpa

Wieder einmal fiel Theresa Mays Bre­xit-Deal bei der Abstimmung im Unterhaus durch. Zwar nicht so krachend wie zuvor, aber dennoch deutlich. Foto: House Of Commons/dpa

Foto: dpa/House Of Commons

Es mag mittlerweile abgegriffen klingen, von einer unendlichen Geschichte zu sprechen. Doch tatsächlich dürften sich nicht nur die Briten, sondern auch die Zuschauer auf dem Kontinent wie in einer Zeitschleife gefangen fühlen. Nicht ohne Grund sprechen die Menschen auf der Insel mittlerweile vom „Groundhog Day“, es handelt sich um das Konzept à la „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Gestern verkündete der Unterhaussprecher John Bercow erneut „The Noes have it, the Noes have it.“ Das zwischen London und Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen fiel abermals durch das Parlament – zum dritten Mal.

Wer es wohlwollend mit Premierministerin Theresa May meint, verweist auf das Ergebnis. Sie hat dieses Mal immerhin weniger krachend verloren als bei den ersten beiden Versuchen. 344 Abgeordnete stimmten gegen den Vertrag, der den Briten erlaubt hätte, am 22. Mai geordnet und mit Übergangsphase aus der Staatengemeinschaft zu scheiden. Nur 286 Parlamentarier votierten dafür – trotz Mays Rücktrittsangebot, mit dem sie ihre Kritiker besänftigen wollte. Es stellte ihre letzte Karte in diesem zermürbenden Spiel dar. Einige Rebellen wie den ehemaligen Brexit-Minister Dominic Raab oder Ex-Außenminister Boris Johnson konnte sie mit ihrer Offerte, ihr Amt niederzulegen, sollte der Deal angenommen werden, auf ihre Seite ziehen. Doch weder die erzkonservative nordirische Unionistenpartei DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, noch die oppositionelle Labour-Partei ließen sich überzeugen.

Wie geht es weiter? Aus Brüssel hieß es, ein ungeregelter Austritt ohne Vertrag sei nun wahrscheinlich. Doch erst Mitte dieser Woche lehnte das britische Parlament diese von der Wirtschaft als Katastrophe bezeichnete Möglichkeit mit großer Mehrheit ab. Zwar ist das Votum rechtlich nicht bindend, und auch wenn der No-Deal-Brexit eine  Option bleibt, gehen Beobachter davon aus, dass die Regierung in London eher um eine lange Verlängerung bitten wird. Diesen Schritt aber, so hatte Theresa May in der Vergangenheit mehrmals betont, wolle sie weder gehen noch verantworten. Beobachter mutmaßen bereits, ob die angezählte Regierungschefin das Abkommen stattdessen in einem vierten Versuch dem Parlament vorlegen könnte. Es wäre nichts weniger als eine Verzweiflungstat. Denn Nachfolger für den Posten in der Downing Street haben sich schon in Stellung gebracht. Als mögliche Kandidaten gelten neben Boris Johnson und Dominic Raab auch Außenminister Jeremy Hunt und Innenminister Sajid Javid. Und hinter den Kulissen hat der Wettstreit um die Führung der Tory-Partei längst begonnen.

Labour-Chef Jeremy Corbyn, der seit Monaten Neuwahlen verlangt, forderte May gestern zum Rücktritt auf. Nach der erneuten Schlappe müsse eine Alternative zum Abkommen gefunden werden. „Wenn die Premierministerin das nicht akzeptiert, muss sie gehen. Nicht zu einem unbestimmten Datum in der Zukunft, sondern jetzt.“

Am Montag will das Unterhaus erneut über mögliche Scheidungsversionen beraten und abstimmen, nachdem sich die Abgeordneten bei den richtungsweisenden Testläufen diese Woche auf keine Option einigen konnten. Keine der acht Alternativen, die zur Abstimmung standen, erhielt eine Mehrheit. Was also könnte Plan B zum abgeschmetterten Plan A von May sein? Die Uhr tickt, am 12. April scheiden die Briten aus der EU aus, sollten sie keinen Aufschub in Brüssel beantragen. Voraussetzung für eine Verzögerung ist jedoch, dass das Königreich bei den Europawahlen, die ab 23. Mai stattfinden, teilnimmt. Nicht nur auf der Insel gilt dies als umstritten. Der ehemalige britische EU-Botschafter Sir Ivan Rogers prognostiziert Neuwahlen noch in diesem Jahr, um einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Die Frage sei, wann diese stattfänden. „Wir werden dann wahrscheinlich mit einem deutlich konservativeren Premierminister enden“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Könnte am Ende doch ein radikaler Europa-Skeptiker wie der lautstarke Johnson übernehmen?

Während sie drinnen im Londoner Westminster-Palast debattierten, wüteten hunderte Protestler draußen. „Respektiert das Referendum“, „Brexit jetzt“, „Schämt euch“ oder „Verräter“, schrien die Brexit-Anhänger. Sie schwenkten Union-Jack-Flaggen und legten teilweise den Verkehr lahm. Ein Demonstrant, extra angereist aus dem Norden Englands, befand: „Guy Fawkes war der letzte ehrliche Mann im Parlament.“ Der Ärger, die Wut, die Frustration ist groß unter den Anti-EU-Aktivisten. Guy Fawkes nämlich, so sollte an dieser Stelle erwähnt werden, versuchte im Jahr 1605, Westminster während der Parlamentseröffnung in die Luft zu sprengen.

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