50 Jahre Attentat auf Rudi Dutschke Drei Schüsse auf den Kopf der 68er-Bewegung

Berlin · Vor 50 Jahren wurde Rudi Dutschke schwer verletzt. Bei einem Attentat, das Deutschland veränderte. Und das Leben seiner Familie.

 Rudi Dutschke war die Galionsfigur der linken Studentenbewegung. Nach dem Attentat vom 11. April 1968 lagen seine Schuhe noch am Tatort in Berlin (l.).

Rudi Dutschke war die Galionsfigur der linken Studentenbewegung. Nach dem Attentat vom 11. April 1968 lagen seine Schuhe noch am Tatort in Berlin (l.).

Foto: dpa/Wilhelm Bertram

Gretchen Dutschke hat ihren Mann gewarnt. An Heiligabend 1967 wurde Rudi Dutschke in der Berliner Gedächtniskirche von einem aufgebrachten Messebesucher mit einer Krücke blutig geschlagen. Sie sagte zu ihm: „Es sieht nicht gut aus. Du musst vorsichtiger sein. Sie wollen dich umbringen.“ Vor 50 Jahren ist es dann passiert: Am 11. April 1968 – Gründonnerstag – schoss ein Attentäter auf den berühmten linken Revoluzzer und verletzte ihn lebensgefährlich.

Anonyme und offene Drohungen hatte es zuvor viele gegeben, der Sänger Wolf Biermann warnte per Brief aus der DDR vor möglichen Anschlägen durch Rechte. Doch Dutschke, 27 Jahre und Galionsfigur der Berliner Studentenrevolte, notierte noch im Februar 1968 in sein Tagebuch: „Scheint mir übertrieben zu sein.“

Wenige Wochen später ist er mit dem Rad auf dem Kurfürstendamm unterwegs. Da nähert sich ihm der 23-jährige Hilfsarbeiter Josef Erwin Bachmann, ein Wirrkopf mit rechten Ideen. Er richtet die Waffe auf den Studenten und drückt dreimal ab. Zwei Kugeln treffen Dutschke in den Kopf, eine in die Schulter. Er überlebt – schwer verletzt.

  Gretchen Dutschke war die Frau an der Seite des Studentenführers. Das Ehepaar bekam drei Kinder. Heute lebt die 76-Jährige wieder in Berlin.

Gretchen Dutschke war die Frau an der Seite des Studentenführers. Das Ehepaar bekam drei Kinder. Heute lebt die 76-Jährige wieder in Berlin.

Foto: dpa/Gregor Fischer

Gretchen Dutschke war die Frau an Rudis Seite. Mit 21 kam sie 1964 mit dem Kohledampfer aus den USA nach Deutschland. Sie wollte die Sprache Kants lernen. Im Café am Steinplatz in Berlin traf sie einen jungen Mann mit schwarzen Haaren und kurzer Lederhose. Es war Liebe auf den ersten Blick. Der Rest ist deutsche Geschichte. Die beiden heirateten 1966. Rudi Dutschke wurde zum Wortführer der linken Studentenbewegung. Er starb Heiligabend 1979 im dänischen Exil an den Spätfolgen des Attentats. Kein Name steht in Deutschland so für „1968“ wie Rudi Dutschke, der bewundert wie angefeindet wurde.

50 Jahre nach dem Attentat ist seine Witwe eine gefragte Frau. Nach einer viel beachteten Biografie über ihren Mann hat sie ein neues, lesenswertes Buch geschrieben, über die 60er Jahre und was sie für heute bedeuten. Es wird einen Fernsehfilm geben. Auch auf der Leipziger Buchmesse war sie unterwegs. Kommt eine Dutschke-Renaissance?

Um die Revolte 1968 drehen sich heute wieder politische Debatten. Gretchen Dutschke ist eine Zeitzeugin, die anschaulich erzählt und schreibt: „Während draußen also schon die Weltrevolution wartete, regierte drinnen, im Reich der Gardinen, noch Mutti – oder versuchte es zumindest.“ Das Lebensgefühl der Studenten damals. Gretchen Dutschke, heute 76, lebt seit 2009 wieder in Berlin, nach Stationen in den USA und Vietnam. Sie findet, dass Deutschland heute „stolz“ auf sich sein kann und das, was die 68er erreicht haben. „Stolz“ – das sieht sie auch als „Provokation“ gegen Rechte, die aus ihrer Sicht versuchen, das Erbe der 68er anzugreifen. Dazu zählt sie vor allem das Bekenntnis zur Demokratie.

Gretchen und Rudi Dutschke waren als verheiratetes Paar damals vergleichsweise bürgerlich. Dieses Erbe sieht Gretchen auch bei den drei Kindern. Hosea-Che (50) leitet eine Gesundheitsbehörde in Dänemark, Polly-Nicole (48) ein Pflegeheim, Rudi-Marek (37) war mal in Berlin bei den Grünen aktiv. Die Werte, die ihnen vom Vater blieben? „Die Liebe zur Menschheit, dass man die Unterdrückung oder Beleidigung von Menschen nicht akzeptieren kann.“

Bedrückend muss es 1968 gewesen sein, als die Drohungen gegen Dutschke so heftig wurden, dass die junge Familie ständig umziehen musste. Dann der 11. April. Der Attentäter soll noch „Du dreckiges Kommunistenschwein!“ gerufen haben, bevor er schoss. Straßenschlachten und heftige Proteste gegen die Springer-Presse folgten, die eifrig gegen „Kommunisten“ gehetzt hatte. Dutschke überlebte nur knapp, musste mühsam alles wieder lernen. Zuletzt lebte die Familie in Aarhus an der dänischen Ostsee.

An Weihnachten 1979 hatte Gretchen Dutschke die Gans in den Ofen geschoben und ging zum Bad, um nach ihrem Mann zu sehen. „Ich öffnete die Tür zum Bad und sah, dass er leblos in der Wanne lag. Ich schrie, und im selben Augenblick zog ich ihn aus dem Wasser. Hosea versuchte, ihn wiederzubeleben. Vergeblich. Er war tot, ertrunken nach einem der inzwischen seltener gewordenen epileptischen Anfälle, Folge des Attentats gut zehn Jahre zuvor.“ Dutschke wurde 39 Jahre alt.

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