Drei Flüsse, zwei Tage, ein Ziel

Dillingen · Nicht ganz 48 Stunden dauert die Fahrt mit dem Binnenschiff von Dillingen nach Duisburg. Mit an Bord: mehr als 3000 Tonnen Schlacke von der Völklinger Hütte. Und ein Kapitänspaar, das das Leben auf dem Fluss liebt.

 Der 172 Meter lange Schublader Inachos beim Durchfahren der Schleuse Rehlingen.Foto: Rolf Ruppenthal

Der 172 Meter lange Schublader Inachos beim Durchfahren der Schleuse Rehlingen.Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal
 Der holländische Kapitän Reinder de Jonge lenkt sein Schiff bereits seit 17 Jahren über die Flüsse. Foto: Rolf Ruppenthal

Der holländische Kapitän Reinder de Jonge lenkt sein Schiff bereits seit 17 Jahren über die Flüsse. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal
 Auf dem Weg durch das Moseltal passiert der Frachter malerische Orte wie etwa Briedel im Landkreis Cochem-Zell. Foto: Jennifer Back

Auf dem Weg durch das Moseltal passiert der Frachter malerische Orte wie etwa Briedel im Landkreis Cochem-Zell. Foto: Jennifer Back

Foto: Jennifer Back
 „Das Herz des Schiffs“: Reinder de Jonge neben einem der zwei 1250 PS starken Motoren im Maschinenraum. Foto: Rolf Ruppenthal

„Das Herz des Schiffs“: Reinder de Jonge neben einem der zwei 1250 PS starken Motoren im Maschinenraum. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

In der Luft liegt eine Menge Staub und der Geruch von Kohle. Metall scheppert gegen Metall, wenn riesige Kräne Schrott aufnehmen und ihn in die Schiffsladeräume fallen lassen. Am Südkai im Dillinger Hafen herrscht Hochbetrieb. Am Ende des Kais liegt der Frachter "Inachos" und wartet auf neue Ladung. An Bord steht Kapitän Reinder de Jonge, in einem blauen Overall, und telefoniert. Aus seinem vom Staub schwarzen Gesicht blitzen blaue Augen. Es ist ihm nicht anzumerken, dass in den vergangenen Tagen schon so viel schiefgegangen ist. "Wir starten eine Stunde später", sagt der blonde Holländer, sobald er aufgelegt hat. Letztendlich sind es fünf Stunden später, bis die "Inachos" den Hafen in Richtung des 442 Kilometer weit entfernten Duisburg verlässt. Sechs Tage liegt das Schiff, das nach dem griechischen Flussgott benannt wurde, bereits im Hafen. Es gab Probleme mit der Ladung, die tagelang auf sich warten ließ. Schlacke soll der Frachter transportieren, Abfall aus der Völklinger Hütte, der zum Recyceln nach Duisburg gebracht wird. 3500 Euro Kosten pro Tag im Hafen fallen an. Das sind 21 000 Euro für die sechs Tage in Dillingen. Die Kosten bekommt de Jonge nicht ersetzt. "Das gehört zum unternehmerischen Risiko."

Seit 1996 sind er und seine Frau Gerry, selbst Kapitänin, Besitzer der 172 Meter langen "Inachos". Zusammen fahren sie von Rotterdam nach Duisburg, weiter nach Dillingen und zurück. Die Leidenschaft für die Schifffahrt teilen die beiden ihr Leben lang, da ihre Eltern selbst im Binnenschiffgewerbe tätig waren. Das Schiff ist mehr als nur ein Arbeitsplatz, das Ehepaar wohnt die Hälfte des Jahres darauf. Die Wohnung im Stil der 1980er Jahre ist mit Küche, Bad, Schlaf- und Wohnraum erstaunlich groß. Seit 2009 ist Gerry de Jonge regelmäßig mit an Bord, zuvor war sie bei den zwei Kindern zu Hause im holländischen Dronten. Da die Kapitäne auf der "Inachos" alle zwei Wochen wechseln, verbringen de Jonge und seine Familie die Hälfte des Monats in Dronten.

Im Motorraum riecht es nach Diesel und obwohl die Maschine derzeit ruht, ist es sehr warm hier unten - und erstaunlich sauber für einen Maschinenraum. "Das ist das Herz der ‚Inachos'", sagt de Jonge und deutet auf einen der beiden 1250 PS starken Motoren. Der zweite befindet sich im Bug. Die Motoren warten nur darauf, gestartet zu werden. Und endlich - um kurz nach vier hat der letzte Lkw seine Ladung abgeladen. Der Eichmeister wartet schon auf seinen Einsatz und misst den Tiefgang des Schiffs, um zu bestimmen, wie schwer die Ladung der "Inachos" ist. "80 Tonnen lassen das Schiff um zehn Zentimeter sinken", erläutert de Jonge. Diesmal hat die "Inachos" ein Gesamtgewicht von 5470 Tonnen.

Endlich brummen die Motoren, es geht gleich los. Doch zunächst muss noch der Schubleichter, der während der Fahrt vorne angekoppelte zusätzliche Frachtraum, der für die Verladung neben dem Schiff festgemacht war, vor das Motorschiff gesetzt werden. Mit gekonnten Griffen machen die Matrosen Zdeno Nedbal (63) und Radec Novotny (50) - beide aus Tschechien - die Leinen des Motorschiffs los. Radec gibt per Funk an das Steuerhaus durch, wie weit der Abstand zwischen den beiden Schiffsteilen ist, bis es einen dumpfen Aufprall gibt und das Motorschiff mit dem Schubleichter über dicke Koppeldrähte verbunden werden kann. "Es geht los", gibt der Kapitän nun das Kommando zum Ausfahren. So verlässt die "Inachos" mit mehreren Tagen Verspätung den Dillinger Hafen in Richtung Duisburg.

Schon bei der ersten Schleuse in Rehlingen wird die schier endlose Geduld des Käptns erneut auf die Probe gestellt. "Scheiße", ruft er und kann nicht umhin zu lachen. "Läuft eine Sache falsch, läuft alles falsch. Das kommt ein bis zweimal im Jahr vor." Ein anderer Frachter hat die "Inachos" überholt und ist vor ihr in der Rehlinger Schleuse. Für die Besatzung heißt das eine Stunde warten.

Und dann heißt es höchste Konzentration: Mit Hilfe des Außenspiegels und den regelmäßigen Funksprüchen des Matrosen Radec, der die Abstände zu den Schleusenmauern durchgibt, lenkt Reinder das 11,40 Meter breite Schiff in die zwölf Meter breite Schleuse. Auf der Saar folgen noch drei weitere Schleusen, auf der Mosel sind es zehn. "In 20 bis 25 Jahren sind hoffentlich alle Schleusen erneuert und damit breiter", hofft Reinder. Doch das bringe auch Probleme: "Wenn die Schleusen plötzlich 190 Meter lang sind, kommen auch größere Schiffe und dann ist vor allem auf der Mosel viel los." Kommt es zu Streiks an den Schleusen, hat Reinder Urlaub, wie er sagt, "aber keinen schönen."

Es ist bereits dunkel, als der Frachter die Saarschleife passiert. Der Käpitän leuchtet die stockdunklen Ufer mit Scheinwerfern aus und orientiert sich mithilfe des Radars auf seinem Bildschirm. Das GPS fällt an dieser Stelle erfahrungsgemäß aus. "Interessant wird es, wenn es neblig ist, dann können wir uns nur auf das Radar verlassen", sagt er.

Am nächsten Morgen fährt die "Inachos" durch das Moseltal. Ganz gemächlich, mit nur zehn Stundenkilometern. Im Vergleich zur Saar ist das beinahe schnell, dort fährt der Frachter durchschnittlich sechs, auf dem Rhein immerhin 14 Kilometer pro Stunde. Links und rechts des Flusses ragen tiefgrüne Weinberge und bunte Wälder auf. Hat Reinder überhaupt noch ein Auge dafür? "Man gewöhnt sich daran, aber vor allem während der Jahreszeitenwechsel ist die Landschaft schön anzusehen." Während den zwei freien Wochen im Monat verreisen er und Gerry öfter mit dem Auto. Dabei sieht er die LKWs und beneidet die Fahrer nicht. "Die sehen nur Straße und müssen ständig voll konzentriert sein. Wir haben es hier gemütlicher." So können die Kapitäne während der Arbeit kurz aufstehen oder sogar fernsehen. Und doch ruht der Blick immer wieder auf dem Wasser. Gerry kommt zwischendurch mit gesüßtem Schwarztee und Kuchen ins Steuerhaus. Stress hat de Jonge keinen, ebenso wenig möchte er, dass seine Mitarbeiter in Hektik verfallen. "Das Beste am Schifffahren ist ohnehin die Freiheit", sagt de Jonge. "Man hat keine Nachbarn und in die eigene Firma redet einem auch niemand rein."

Doch bei aller Gemütlichkeit und Selbstbetimmung spürt er die andauernde Wirtschaftskrise. Die Aufträge sind weniger geworden. "Früher sind wir nach Dillingen gekommen, haben abgeladen, wurden beladen und sind wieder weg." Heute wartet die "Inachos" im Schnitt zwei Tage, bis es weitergeht. De Jonge und seine Familie spüren das vor allem finanziell. "Wir müssen uns schon einschränken", gesteht er. Und doch blickt er positiv in die Zukunft: "Die Zeiten werden besser, das spürt man schon ein bisschen."

All die Gedanken über die Krise treten während der Arbeit in den Hintergrund. Der Frachter ist nach nicht ganz zwei Tagen Fahrt über Saar, Mosel und Rhein in Duisburg angekommen, im größten Binnenhafen Europas. Leider sieht die Besatzung davon nichts, denn die "Inachos" legt an der Rheinmauer an. De Jonge ist nun voll in seinem Element. Um den Schubverband voneinander zu trennen, muss das Schiff wenden. "Gegen den Strom ist es leichter anzulegen, da wir nicht so leicht abtreiben", erklärt de Jonge. So steht das 172 Meter lange Schiff wenige Augenblicke quer auf dem Rhein. Der Kapitän hat nicht nur das Schiff und die Hafenmauer im Blick, sondern auch, ob andere Schiffe ankommen, was nicht der Fall ist. Alles geht gut, die "Inachos" liegt da, wo sie liegen soll. Sogleich fängt ein Kran mit dem Entladen an, tags darauf soll das Schiff leer sein. Und dann geht es für Reinder und Gerry nach Hause. "Zwei Wochen auf dem Schiff sind gut", sagt der Kapitän und sieht dem Kran dabei zu, wie er die Schlacke vom Schiff hebt. "Aber zwei Wochen daheim auch."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort