Brexit-Drama May übersteht Misstrauensantrag – und steckt weiter in der Krise

London · Theresa May mag am Mittwochabend gewonnen haben. Doch allzu groß schien die Freude bei der britischen Premierministerin nicht zu sein.

 Theresa May, Premierministerin von Großbritannien.

Theresa May, Premierministerin von Großbritannien.

Foto: dpa/House Of Commons

Sie wirkte müde, als sie im Parlament an das Pult trat. Zuvor hatte der Sprecher verkündet, dass der von Oppositionschef Jeremy Corbyn gestellte Misstrauensantrag gegen die Regierung gescheitert war. Eine Mehrheit von 325 zu 306 der Abgeordneten sprach May das Vertrauen aus. Woraufhin die Regierungschefin ihre Hand in Richtung Opposition ausstreckte. Sie lade die Vorsitzenden der anderen Parteien dazu ein, sich einzeln mit ihr zu treffen, sagte sie bemüht kämpferisch.

Aber tief saß die Demütigung vom Abend zuvor, als eine unerwartet große Mehrheit der Abgeordneten das zwischen London und Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen abgelehnt hatte. Auch der Sieg der Vertrauensabstimmung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die britische Regierung in ihrer bislang schwersten aller ohnehin erlebten politischen Krisen steckt. Dementsprechend übergoss die britische Presse die Regierung gestern mit Spott und Häme. „Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen“, fasste der „Daily Mirror“ Mays Debakel auf der Titelseite zusammen. Die Boulevardzeitung „The Sun“ befand, der Deal sei „so tot wie ein Dodo“ – und verglich das Abkommen damit mit einem ausgestorbenen Vogel.

71 Tage vor der Scheidung von der Gemeinschaft am 29. März weiß niemand auf der Insel, wie es weitergeht. Die Meinungen sind so zerfasert, dass bislang keiner der mittlerweile unzähligen Vorschläge im Parlament, wie Großbritannien aus der EU scheiden soll, eine Mehrheit genießt. Und die Bevölkerung hat ihre Meinung Umfragen zufolge kaum geändert. Theresa May lieferte zudem auch am Mittwoch keine Antworten auf die Fragen der Zukunft. „Ist es nicht der Fall, dass jeder andere ehemalige Premierminister, der eine Niederlage solchen Ausmaßes erlebt hätte, zurückgetreten wäre?“, fragte Corbyn, der seit Monaten auf eine Neuwahl spekuliert.

Da die Regierungschefin in gewohnter Standfestigkeit nicht plant, freiwillig aus der Downing Street auszuziehen, hatte der Labour-Vorsitzende nach der Schlappe von May keine andere Wahl, als das Misstrauensvotum anzuberaumen – auch wenn die Chancen auf einen Erfolg beinahe aussichtslos waren. Obwohl rebellische Hinterbänkler in den konservativen Reihen erst im Dezember versuchten, ihre Chefin zu stürzen, wollten die Brexit-Hardliner nicht das Risiko eingehen, dass am Ende Corbyn die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte.

Die Position von May könnte trotz des Überstehens der Misstrauensabstimmung schwächer nicht sein. Beobachter zeigten sich skeptisch, ob sie die kommenden Tage politisch überleben kann. Doch auf die Konservative wurden in den vergangenen Jahren unzählige Abgesänge verfasst. Theresa May hielt durch – und an ihrer Macht fest. Am kommenden Montag muss sie dem Parlament einen Plan B präsentieren. Wie dieser aussehen könnte, war jedoch auch am Mittwoch unklar. Als wahrscheinlich gilt, dass May versuchen wird, parteiübergreifend eine Mehrheit für einen Kompromiss zu finden, um dann bei der EU um weitere Zugeständnisse zu bitten. Offenbar zeigt sie sich auch der Option, Artikel 50 zu verlängern und damit Zeit zu gewinnen, nicht mehr komplett abgeneigt. Dem müssten die übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort