US-Republikaner in der Krise Dolchstoß aus dem eigenen Lager

Washington · Die Gesundheitsreform von Donald Trump ist krachend gescheitert. Jetzt steht der US-Präsident mit seiner Partei vor einem Scherbenhaufen.

 SZ-Nicht krankenversichert

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Foto: SZ/Astrid Mueller

Ihre Erklärungen kamen zeitgleich, sie waren abgestimmt. Um Punkt 20.30 Uhr Ortszeit am Montagabend schrieben die beiden republikanischen Senatoren Mike Lee und Jerry Moran auf Twitter, dass sie den jüngsten Versuch für eine Reform des Gesundheitssystems nicht mittragen könnten. Damit besiegelten sie das Aus für den Gesetzentwurf, der „Obamacare“ abschaffen und durch ein neues System ersetzen sollte. Der Widerstand in den eigenen Reihen war zu groß. Der republikanische Fraktionschef Mitch McConnell, der für die Gesundheitsreform sogar die parlamentarische Sommerpause verkürzt hatte, musste die Niederlage einräumen.

Für Präsident Donald Trump und seine Partei kommt das Versagen einem politischen GAU gleich. Gesundheitsversorgung ist nach allen Meinungsumfragen das Nummer-Eins-Thema für die Amerikaner –  weit vor der Russland-Affäre und sogar der Steuerreform. Mit dem Scheitern haben die Republikaner in der so wichtigen Frage nach sieben Jahren Vorbereitung in der Opposition und einem halben Jahr unter Trump jetzt den „Worst Case“, den schlimmsten Fall, heraufbeschworen: Sollte die von McConnell angestrebte Abstimmung über die reine Abschaffung kommen, würden in den nächsten zehn Jahren weit über 30 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung dastehen, 18 Millionen schon im ersten Jahr. 19 Millionen sozial Schwache würden bis 2026 ihre Grundversorgung verlieren, rechnete das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) vor.

Die Republikaner stehen vor einem Scherbenhaufen. Unfähig zum Kompromiss in den eigenen Reihen scheitern sie bei der Umsetzung eines ihrer wichtigsten Vorhaben. „Obamacare abschaffen und ersetzen!“ – das war einer ihrer lautesten Schlachtrufe im Wahlkampf. Zu verhasst war ihnen das System, das auch noch den Namen eines Mannes trug, für den der Begriff Klassenfeind aus Sicht vieler Konservativer fast schmeichlerisch klingt. Zu groß ist ihrer Meinung nach der Eingriff des Staates, manche ihrer Wähler stellen sogar die Frage, ob eine staatliche Krankenversicherung nicht auch so etwas wie eine Manipulation an Gottes Schöpfung darstelle.

Die Niederlage offenbart zwei Probleme. Zum einen gelingt es den Konservativen selbst in den eigenen Reihen nicht, den politischen Spalt zu überwinden, der sich in so vielen Bereichen durch die amerikanische Gesellschaft zieht. Zu verhärtet sind die Fronten zwischen den einzelnen Flügeln. Zu zerstritten ist die Partei, zu zerzaust in Grabenkämpfen.

Die Republikaner haben die Mehrheit im Kongress, sie stellen den Präsidenten, aber sie werden ihre alten Probleme nicht los. Im Vorwahlkampf konnten sie sich nicht auf einen Gegenkandidaten zu dem Außenseiter Trump einigen, der Unternehmer setzte sich durch. Sie gewannen mit ihm die Wahl im November, aber der verheerende Zustand der „Grand Old Party“ – wie die Republikaner auch genannt werden – hat sich nicht geändert. Unter Obama einte sie zumindest der Zustand des steten Widerstands gegen den demokratischen Präsidenten und der nach ihm benannten Gesundheitsversorgung. Nun, da sie das Weiße Haus zurückerobert haben, können sie sich nicht darauf einigen, was sie bei der Gesundheitsversorgung eigentlich wollen.

Auf der einen Seite des republikanischen Spektrums stehen moderate Senatorinnen wie Susan Collins aus Maine oder Lisa Murkowski aus Alaska. Sie störten sich etwa an den geplanten Kürzungen am Medicaid-System, der Grundversorgung für sozial Schwache. Auf der anderen Seite stehen sehr konservative Abgeordnete oder Libertäre wie Rand Paul. Ihnen gehen die Einschnitte nicht weit genug – oder besser gesagt: Eine staatliche Pflichtversicherung für Jedermann ist für sie an der Grenze zum Sozialismus. Das Scheitern zeigt auch, dass Trump nicht in der Lage ist, die Republikaner auf Linie zu bringen. Trump, der politisch Unerfahrene, hat nur wenig Autorität auf dem „Hill“, wie der Kongress in Washington wegen seiner Lage auf dem Capitol Hill genannt wird.

Trump, der das Thema Gesundheit lange völlig unterschätzt hatte, fremdelt weiterhin sichtlich mit den harten Wirklichkeiten des politischen Systems, dem zähen Zerren um Zugeständnisse. In seinen Äußerungen zur Gesundheitsversorgung ging er nie näher darauf ein, wie diese aussehen soll. Er wiederholte nur gebetsmühlenartig, dass man „Obamacare“ abschaffen und ersetzen müsse. Es gibt Anzeichen dafür, dass er ein politisches Glücksspiel versucht: Die Totalabschaffung von „Obamacare“ und eine Neuregelung, mit Hilfe der dann unter Druck gesetzten Demokraten und moderater Republikaner. Damit würde er den offenen Krieg mit dem konservativen Flügel seiner Partei riskieren. Und ob die derzeit auf Totalopposition ausgerichteten Demokraten da mitspielen, ist mehr als fraglich.

In den vergangenen Wochen sendete der Präsident widersprüchliche Signale an seine Parteikollegen. Als die Republikaner im Repräsentantenhaus ihren Gesetzentwurf zu „Obamacare“ durchboxten, feierte Trump das gemeinsam mit ihnen im Rosengarten des Weißen Hauses –  wohl wissend, dass dieses Paket im Senat keine Chance haben würde. Später wiederum bezeichnete er das Papier als „fies“, weil es soziale Härten enthält.

Den republikanischen Senatoren drohte er schließlich damit, dass er „sehr verärgert“ sein werde, sollte der Entwurf scheitern. Der Präsident ging damit auf Distanz zu seinen eigenen Parteikollegen, noch bevor es überhaupt zu einer Abstimmung kam.

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