Diplomatisches Eigentor für Serbien

Den Haag/Belgrad. Manchmal sieht es so aus, als würde der Himmel bedeutende Ereignisse mit Zeichen begleiten. Je mehr sich der Präsident des Internationalen Gerichtshofes (IGH), Hisashi Owada, gestern bei seinen Erläuterungen in Sachen Unabhängigkeit des Kosovos dem entscheidenden Satz näherte, desto mehr düstere Wolken zogen auf

Den Haag/Belgrad. Manchmal sieht es so aus, als würde der Himmel bedeutende Ereignisse mit Zeichen begleiten. Je mehr sich der Präsident des Internationalen Gerichtshofes (IGH), Hisashi Owada, gestern bei seinen Erläuterungen in Sachen Unabhängigkeit des Kosovos dem entscheidenden Satz näherte, desto mehr düstere Wolken zogen auf. Schließlich die Worte, die viele in ihrer Eindeutigkeit überraschten: Kosovos Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 "hat nicht gegen internationales Recht verstoßen". Kurz darauf rissen die Wolken auf und die Sonne kam hervor.Die Kosovaren mögen es als Signal von oben deuten, die Serben eher als Hohn: Sie schienen mit einem solchen Spruch der höchsten Rechtsinstanz der Vereinten Nationen kaum gerechnet zu haben. Noch kurz vor der Verkündung des IGH-Rechtsgutachtens hatte Serbiens Außenminister Vuk Jeremic siegesgewiss erklärt, dies sei "der Moment der Wahrheit", an dem die albanischen Repräsentanten im Kosovo lernen würden, dass "einseitige Schritte nicht die grundsätzlichen Normen des Völkerrechts verändern können".Das beurteilten zehn der 14 abstimmenden Richter des IGH ganz anders. Von einem einseitigen, mit niemandem abgestimmten Entschluss des damaligen kosovarischen Parlaments könne keine Rede sein, erklärte der 77-jährige IGH-Präsident und Völkerrechtsexperte Owada aus Japan. Er verwies darauf, dass der Unabhängigkeit ein langer Prozess von Verhandlungen zwischen den Kosovo-Albanern und der Regierung in Belgrad unter der Ägide der Vereinten Nationen vorausgegangen sei.Am Ende war es der vom UN-Generalsekretär berufene Kosovo-Sonderbeauftragte, der weltweit geachtete frühere Präsident Finnlands Martti Ahtissari, der dem UN-Sicherheitsrat berichtete: Es wird an der Unabhängigkeit des Kosovos kein Weg vorbei führen, wenn man die Gewalt auf Dauer beenden will. Dieser Auffassung hatten sich die USA, Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland rasch angeschlossen, ebenso wie die Mehrzahl der EU-Mitglieder.Hoffnung auf Anerkennung Die Proklamation der Unabhängigkeit sei praktisch auf der Basis der UN-Bemühungen und der Einschätzungen ihres eigenen Sonderbeauftragten erfolgt, hieß es in dem IGH-Gutachten. Sie verstoße daher auch nicht gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, so Richter Owada.Serbien selbst hatte sich das Rechtsgutachten des IGH gewünscht und die Einschaltung des Gerichtshofes in der UN-Vollversammlung durchgesetzt. Die erwies sich nun als diplomatisches Eigentor: Nun dürfte es vorbei sein mit Plänen Serbiens, den UN eine Resolution abzuringen, die neue Verhandlungen über den Status des Kosovos verlangt. Vielmehr könnten bald viele jener 123 Staaten die Anerkennung des Kosovo vollziehen, die dazu bislang nicht bereit waren. Mitglieder der Kosovo-Regierung sprachen von einem "großen Sieg" und einem Richterspruch, der "ein Bumerang für die hegemonistische Politik Serbiens" sei.Viele Staaten, die Serbien in der Kosovo-Frage unterstützten - darunter Russland, China und Spanien - hatten nachvollziehbare Gründe: Sie fürchten einen Präzedenzfall für die Abspaltung von Völkerschaften wie etwa der Basken oder der Tibeter. Bei ihnen dürften die Alarmglocken geläutet haben, als IGH-Präsident Owada darauf hinwies, dass das Prinzip der territorialen Integrität zwar von enormer Bedeutung sei, jedoch das Völkerrecht "kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen kennt". dpa

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