Dieter Heinz ist mit 85 Jahren der älteste Hochschul-Lehrende im Saarland

Saarbrücken · Der fruhere Saarbrucker Denkmalpfleger Dieter Heinz hutet in seinem Haus hunderte Ordner voll stadtgeschichtlicher Dokumente, doch die Jugend schatzt auch ihn selbst als Wissensreservoir. Auch deshalb lehrt er mit 85 Jahren immer noch an der Kunsthochschule.

 Professor Dieter Heinz in seinem Haus auf dem Eschberg. Foto: Oliver Dietze

Professor Dieter Heinz in seinem Haus auf dem Eschberg. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Vier Männer sitzen am Küchentisch. So könnte eine Lehrveranstaltung von Professor Dieter Heinz (85) beginnen. Er würde dann die zahlenmystische Bedeutung der Ziffer Vier bis zu den apokalyptischen Reitern zurückverfolgen, bei der Figuren-Konstellation zu Richard Wagners Opern-Helden und der vermasselten Bayreuther Frank-Castorf-Inszenierung des "Rings" wechseln und beim Stichwort Holz dort landen, wo alle Gesprächswege bei Heinz zwangsläufig enden: bei der barocken Ludwigskirche (1762-1775). Ohne Heinz, mehr als drei Jahrzehnte Denkmalschützer der Stadt Saarbrücken, gäbe es die Saarland-Ikone in dieser Form nicht. In der Stengel-Kirche genossen die Schönen und Reichen das ungeheuerliche Privileg gewärmter Füße. In den Geschlechterlogen glühten Holzkohleöfchen. Und überhaupt: Hatte er schon das Schuhmaß des Baumeisters Friedrich Joachim Stengel erwähnt und dessen genialisches Proportionssystem, das wiederum mit der altägyptischen Königselle in Relation steht?

Jawohl, Dieter Heinz kommt von "Hölzchen auf Stöckchen", auch bei unserem Gespräch in dem von ihm für die vierköpfige Familie umgebauten "Gutsforsthaus Eschberg" aus Stummschem Besitz. Man betritt es durch einen Wintergarten. Es gibt keine Klingel, kein Türschild. "Wir konnten uns nicht mehr retten. Dauernd klingelten Fremde und wollten etwas zur Geschichte ihrer Häuser wissen." Über 800 Ordner mit Aufzeichnungen seit 1943 hat Heinz hier gehortet und über 25 000 Fotos.

Die vermeintlich chaotische Erzählart unterläuft Heinz nicht, sie ist vielmehr seine originäre Methode der Welterkenntnis. "So hängt eins im anderen", sagt er oft und lässt den "roten Faden" nach Universalgelehrten-Lust durch die Menschheits-Jahrtausende, das All, die Musiklehre und Kunstgeschichte "springen". Atlantis habe existiert, erfährt man, fast zeitgleich, dass er mit seiner einzigen Enkelin mitunter auf Latein korrespondiert.

Die Honorarprofessur für Kulturgeschichte bekam Heinz 1995, nachdem er bereits zehn Jahre lang als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule und dann an der Kunsthochschule Vorlesungen gehalten hatte. Für das dieser Tage beendete Wintersemester bat ihn Professor Ivica Maksimovic noch einmal um Unterstützung. Er sollte den Studenten, die sich mit dem Saarbrücker Luisenviertel auseinandersetzten, stadthistorisches Hintergrund-Wissen vermitteln - mit 85, als ältester Lehrender des Saarlandes. Der Titel: "Der Maestro erzählt". Das Ergebnis? Ein Fanclub von Mittzwanzigern. Wie schafft das ein Greis? Die Studenten berichten von einem "großartigen Ästheten", dessen Wissbegier sie inspiriere und ermutige. Heinz inszeniere eine Art "Hörspiel" und schaffe, obwohl ausschließlich er selbst rede, ein mirakulöses Miteinander. Dieser Prof sei wie sie "mit Elan dabei", also liege man "auf einer Wellenlänge". Um mit Heinz zu sprechen: "Alt und neu sind keine Qualitätskategorien. Was uns begeistert, ist die Ausstrahlung."

So einfach läuft das mit dem Nützlich- und Aktivsein nach der Rente? Eine verlässliche, stabile Gesundheit braucht's. Seit Kindertagen ist Heinz gehbehindert, doch ansonsten vertrauen er und seine Frau, mit der er seit 54 Jahren verheiratet ist, auf gesunde Kost und die Selbstheilungskräfte des Körpers. Medikamente sind verpönt, Ärzte fungieren nur als Notfall-Helfer. Über die schweren Tage, an denen er bei seinen ausgiebigen Vorbereitungen mit der Konzentration kämpft, will Heinz nicht reden. Und erwartet nur eins: Dass man ihm Erklärungen oder Entschuldigungen erspart, wenn er schwächelt.

Wie einst, als Heinz noch in der Aula vor über 100 Hörern las, packte er auch in diesem Semester in einem Projektbüro in der Bahnhofstraße seinen über sechs Meter langen selbst gefertigten "Zeitstrahl" aus und schleppte Musikinstrumente an. Denn der Saarbrücker Pfarrerssohn, dessen Vater an der Ludwigskirche wirkte, hätte genauso gut Musiker werden können, so profund war seine Geigen-Ausbildung. Oder Maler: Frühe Zeichnungen von Alt-Saarbrücken belegen das Talent. Doch sein Sinn fürs Handfest-Praktische und die Lust am Basteln und Bauen beförderten die Entscheidung, in Karlsruhe Architektur zu studieren. Schon zuvor hatte der Gymnasiast in Saarbrückens Nachkriegs-Ruinen seinen Entdecker- und Forscher-Drang ausgelebt. Heinz "las" in Mauern, Gassen und Hausstiegen und rekonstruierte akribisch in Skizzen, wie das, was zerstört war, einst ausgesehen haben musste. So kam es zum legendären Ludwigskirchen-Modell, das sich heute im Frankfurter Architekturmuseum befindet. Den Innenausbau des bedeutenden Sakralbauwerks hat Heinz später als Stadtkonservator maßgeblich mitbestimmt. Auch die Rettung des St. Johanner Marktes als historisches Viertel und Fußgängerzone wäre ohne ihn undenkbar.

Doch seine Dienstzeit entwickelte sich nicht zur Bilderbuch-Karriere, sondern war geprägt durch viele Querelen. 1979 löste der damalige Oberbürgermeister Oskar Lafontaine (SPD ) das städtische Konservatoramt auf. Um Jahre später, als Ministerpräsident, Heinz dann den saarländischen Verdienstorden an die Brust zu heften. So verrückt spielt das Leben, was sollen da Groll oder Zynismus? Selbst dann, wenn keiner wahrhaben will, wie sehr sich der allseits gelobte Gottfried Böhm mit dem gläsernen Mittelrisaliten am Saarbrücker Schloss vergangen hat. Heinz zog erfolglos dagegen zu Felde. Und stellt heute sachlich, nicht verbiestert fest: "Das Blei verseuchte Wasser läuft immer noch direkt in die Kanalisation." Verlieren lernt man eben auch in 85 Jahren. Und Demut, weil Lebenswünsche auf der verbleibenden Wegstrecke wohl nicht mehr in Erfüllung gehen. Den hellen Anstrich seiner Ludwigskirche wird Heinz kaum mehr erleben. Die "scheckige" Naturstein-Außenhaut hätte Stengel empört, meint er. Und es klingt, als hätte er gerade mit dem anderen Meister telefoniert.

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