"Diese Kinder werden zu psychischen Wracks"

Herr Professor Struck, ist es verwerflich, seine Kinder zu Selbstdisziplin zu erziehen, indem man sie auch bestraft?Struck: Strafen bringen nur dann etwas, wenn sie vom Kind akzeptiert werden und nicht, wenn sie die Lage des Kindes verschlimmern. Was diese Mutter in den USA macht, ist sehr hart

Herr Professor Struck, ist es verwerflich, seine Kinder zu Selbstdisziplin zu erziehen, indem man sie auch bestraft?

Struck: Strafen bringen nur dann etwas, wenn sie vom Kind akzeptiert werden und nicht, wenn sie die Lage des Kindes verschlimmern. Was diese Mutter in den USA macht, ist sehr hart. Man kann jetzt schon sagen, dass ihre Kinder später einmal psychisch gestört sein werden. Solche Kinder lösen sich, so bald es geht - das beginnt meist um das 15. Lebensjahr - aus ihrer Familie, laufen weg, brechen aus, suchen früh Bindungen außerhalb der Familien. Sie haben statistisch gesehen das höchste Risiko, drogenabhängig zu werden.

Aber die "Tigermutter" aus den USA scheint eine gewisse Faszination auszuüben. Die Talkshows reißen sich um sie, und auch in Deutschland wird über sie diskutiert. Wie erklären Sie sich das?

Struck: Die Erklärung ist, dass die meisten Erwachsenen längst vergessen haben, wie sie sich früher als Kind von innen angefühlt haben und wie sie gelernt haben. Für Erwachsene, die von Erziehung und von der Kinderseele nichts verstehen, ist das natürlich eine faszinierende Sache. Sie denken nur an die Karriere des Kindes und den beruflichen Erfolg, der sich auf diese Weise aber gerade nicht einstellt. Diese Kinder werden zu Erziehungsruinen und psychischen Wracks.

Amy Chuan suggeriert, dass es einen Zusammenhang zwischen Strenge der Erziehung und schulischem Erfolg der Kinder gibt.

Struck: Das geht bei Mädchen manchmal begrenzt gut, bei Jungen gar nicht. In Japan und Südkorea, wo es sehr viele solcher Eltern gibt, haben wir die weltweit höchsten Suizidraten bei Schülern. Bis zum 13. oder 14. Lebensjahr fügen sich die Kinder dem Wunsch der Eltern, aber finden nie ihre eigene Identität. Vom 14. Lebensjahr an beginnen sie, auf eigenen Beinen stehen zu wollen. Aber dafür haben sie kein Rüstzeug mitbekommen. Sie sind nur hörige Objekte ihrer überehrgeizigen Eltern. Die Wahrheit liegt immer in der Mitte, nie in den Extremen.

Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, wie viele Eltern ihre Kinder besonders streng erziehen?

Struck: 15 Prozent der Kinder in Deutschland werden überstreng erzogen. Das sind Kinder, die mit drei Jahren an ein Institut zur sprachlichen Frühförderung kommen, mit fünf in die Schule, bei einer Zwei in Mathe Nachhilfe bekommen und nachmittags zum Tennis-, Geigen-, Reit- und Ballettunterricht müssen. Dann muss das Kind mit 13 zur Aufbesserung der Englisch-Kenntnisse in den Sommerferien in eine schottische Familie und mit 15 ein Jahr in die USA. Diese Kinder haben es nicht besser als die anderen 15 Prozent, die vollständig vernachlässigt werden.

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