„Die Zeit der Rosinen-Pickerei ist vorbei“

David McAllister hat einen deutschen und einen britischen Pass. Seit 2014 sitzt der frühere Ministerpräsident von Niedersachsen für die CDU im Europäischen Parlament. Der Ausgang des EU-Referendums im Vereinigten Königreich macht ihn „unendlich traurig“. Wie es jetzt weitergehen soll, darüber sprach der Politiker mit SZ-Redakteurin Stefanie Marsch.

Herr McAllister, die EU reagierte teilweise sehr aggressiv auf die Brexit-Entscheidung. War das richtig oder sollte Brüssel eher Milde zeigen?

McAllister: Die EU sollte ruhig und besonnen reagieren, aber auch standfest bleiben, was die rechtlichen Grundlagen in dieser Sache angeht. Der Artikel 50 des EU-Vertrages ist eindeutig. Ein Mitgliedstaat, der die Europäische Union verlassen will, muss dies von sich aus mitteilen. Insofern ist es eine Entscheidung der britischen Regierung, wann sie das Verfahren einleitet. Zudem gilt es auch, eine neue Grundlage für ein Verhältnis zu den Briten aufzubauen - sie bleiben ja unsere Nachbarn und Freunde. Dabei geht es weder darum, sie zu belohnen, noch darum, sie zu be strafen, sondern eine vernünftige Einigung zu finden. Das heißt, wer weiterhin den vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt möchte, muss auch alle damit verbundenen Freiheiten akzeptieren, inklusive der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Zeit der Rosinen-Pickerei ist vorbei.

Könnten die Spannungen, die schon jetzt wegen des Brexit zu spüren sind, die EU gefährden?

McAllister: Nein, die anderen 27 Mitgliedstaaten haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie die EU stärken wollen. Natürlich ist dieses Referendum ein schwerwiegender Einschnitt, deshalb müssen wir jetzt in Ruhe überlegen, wie die Zukunft der EU aussehen soll. In Europa alles vom Kopf auf die Füße zu stellen, wie manche fordern, halte ich aber für die falsche Antwort. Das Vertrauen der Menschen können wir gewinnen, wenn die EU sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentriert und sich nicht in bürokratischem Kleinklein verzettelt.

Sie wollen also auch eher weniger anstatt noch mehr Europa?

McAllister: Das ist eine Debatte aus dem letzten Jahrzehnt. Es geht nicht um mehr oder weniger, es geht um ein besseres Europa. Da, wo es sinnvoll ist, bin ich für eine starke, handlungsfähige EU. Auf der anderen Seite gibt es Angelegenheiten, die die nationale oder regionale Ebene genauso gut regeln kann. Nicht jedes Thema in Europa ist ein Thema für Europa. Manche in Brüssel vermitteln zuweilen einen anderen Eindruck.

Die Schotten wollen in der EU bleiben. Viele fordern - nach 2014 - ein zweites Unabhängigkeits-Referendum. Wäre das legitim?

McAllister: Das Vereinigte König reich ist seit dem Referendum tief gespalten, nicht nur nach Generationen und sozialem Hintergrund der Menschen, sondern auch nach Regionen. England und Wales haben für den Austritt gestimmt, Schottland und Nordirland für den Verbleib. Der Zusammenhalt im Vereinigten Königreich wird jetzt auf eine schwere Probe gestellt. Wie es in Schottland weitergeht, muss in Edinburgh und London geklärt werden. Da mische ich mich als deutscher Politiker trotz meiner schottischen Wurzeln grundsätzlich nicht ein. Das schottische Unabhängigkeitsreferendum war 2014. Ob es nun innerhalb weniger Jahre zu einem weiteren Referendum kommt, bleibt abzu warten.

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