Die Welle der Festnahmen in der Türkei ebbt nicht ab

Istanbul · Präsident Erdogan verschärft die Gangart unter dem Ausnahmezustand in der Türkei nochmal. Mehr als 13 000 Menschen wurden festgenommen. Auch die wachsende Kritik aus dem Ausland stoppt ihn nicht.

Der türkische Präsident Recep Erdogan hat in seinem ersten Dekret im Ausnahmezustand die Schließung von 2341 Schulen und anderen Einrichtungen verfügt. Verdächtige können jetzt in bestimmten Fällen 30 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Bislang waren maximal vier Tage möglich. Erdogan sagte in der Nacht zum Sonntag, seit dem Putschversuch seien mehr als 13 000 Menschen festgenommen worden. Knapp 6000 davon seien in Untersuchungshaft .

Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch aus den Reihen des Militärs mit mindestens 270 Toten verantwortlich. Der Präsident hat angekündigt, staatliche Stellen von Gülen-Anhängern zu "säubern". Sait Gülen, ein Neffe des islamischen Predigers, wurde im osttürkischen Erzurum in Gewahrsam genommen.

Die Regierung verdächtigt offenbar sogar Erdogans Präsidentengarde, von Gülen-Anhängern unterwandert zu sein. Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte am Samstagabend die Auflösung der Einheit an. Am Freitag waren 283 Soldaten des Spezialkräfte-Regiments am Präsidentenpalast in Ankara festgenommen worden.

Erdogan ordnete in seinem Dekret an, landesweit 2341 Einrichtungen mit mutmaßlichen Gülen-Verbindungen zu schließen. Darunter sind 1043 private Schulen , 1229 gemeinnützige Einrichtungen, 19 Gewerkschaften, 15 Universitäten und 35 medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser.

Erdogan sagte laut der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, die Zahl der Festnahmen seit dem Putschversuch sei auf 13 165 gestiegen. Bei ihnen handele es sich um 8838 Soldaten, 1485 Polizisten, 2101 Richter und Staatsanwälte , 52 Behördenleiter und 689 weitere Zivilisten. 5862 der Verdächtigen seien in Untersuchungshaft genommen worden, darunter 1559 Richter und Staatsanwälte sowie 123 Generäle.

Nach einem Bericht von Anadolu waren alleine bis zum Wochenende mehr als 44 500 Staatsbedienstete suspendiert worden. Bereits am Freitag hatte die Regierung die Ausreisekontrollen erschwert, um Verdächtige an einer Flucht ins Ausland zu hindern.

Rund 11 000 Reisepässe vor allem von Staatsbediensteten wurden nach offiziellen Angaben für ungültig erklärt. An den Flughäfen müssen Staatsbedienstete nun eine Bescheinigung ihrer Behörde vorlegen, in der steht, dass ihrer Ausreise nichts im Wege steht.

Die führenden Industrie- und Schwellenländer forderten von ihrem G 20-Partner Türkei die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. CSU-Chef Horst Seehofer sprach sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. "Wenn man sieht, wie die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch den Rechtsstaat abbaut, müssen diese Verhandlungen sofort gestoppt werden", sagte Seehofer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Erdogan vor, die Alleinherrschaft anzustreben. "Erst haben wir einen dilettantisch ausgeführten Putsch des Militärs erlebt. Jetzt folgt offensichtlich ein von langer Hand geplanter Staatsputsch", sagte Özdemir der "Passauer Neuen Presse" .

Seit der Verhängung des Ausnahmezustands kann Erdogan per Dekret regieren.

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Am Rande Die Zahl der Flüchtlinge, die von der türkischen Küste aus illegal zu den griechischen Inseln übersetzen, hat deutlich zugenommen. Allein am Sonntagmorgen nahmen Boote der europäischen Grenzschutzagentur Frontex 52 Menschen vor der Ägäis-Insel Lesbos auf, die in zwei überfüllten Schlauchbooten unterwegs waren, berichtete der Fernsehsender Skai. Zwischen Freitag- und Sonntagmorgen verzeichnete der griechische Flüchtlingskrisenstab insgesamt 294 Neuankünfte. Nach dem Inkrafttreten des Flüchtlingspaktes zwischen der EU und der Türkei war die Zahl der Neuankünfte auf wenige Dutzend am Tag zurückgegangen, während es zu Jahresbeginn bis zu 2000 waren. Der Anstieg erhöht in Athen die Sorge, der Putschversuch könnte dazu führen, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder zunimmt. dpa

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