Die Wahrheit über den "Blutigen Sonntag"

London. Seit fast vier Jahrzehnten kämpften die Hinterbliebenen gegen die Schmähung ihrer Angehörigen, die in Nordirland als "Terroristen" erschossen wurden. Nun endlich bekommen sie Recht mit der Behauptung, dass sie völlig unschuldig waren

London. Seit fast vier Jahrzehnten kämpften die Hinterbliebenen gegen die Schmähung ihrer Angehörigen, die in Nordirland als "Terroristen" erschossen wurden. Nun endlich bekommen sie Recht mit der Behauptung, dass sie völlig unschuldig waren. Nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zum "Blutigen Sonntag" entschuldigte sich Premierminister David Cameron bei den Opfern: Die britischen Soldaten hätten die friedlichen Demonstranten "völlig ungerechtfertigt" angegriffen. "Ich bereue im Namen meiner Regierung und meines Landes zutiefst, was passiert ist", sagte Cameron.Es dauerte Jahrzehnte, bis eine Untersuchung des Geschehenen endlich in Gang kam. Der damalige Premierminister Tony Blair ordnete 1998 eine Untersuchung an. Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis Lordrichter Mark Saville den 5000-seitigen Report der langwierigsten und mit fast 200 Millionen Euro auch teuersten Untersuchung in der britischen Geschichte vorlegte. Am 30. Januar 1972 endete eine Demonstration katholischer Bürgerrechtler in Nordirlands zweitgrößter Stadt Londonderry in einem Blutbad. Britische Fallschirmjäger eröffneten das Feuer auf den friedlichen Zug. Im Kugelhagel brachen 27 Menschen zusammen, 13 starben. Der Kommandeur und die Soldaten wurden nach einer schnellen Untersuchung freigesprochen. Sie behaupteten, dass sie von Terroristen beschossen wurden, die sich in der 15 000-köpfigen Menschenmenge versteckt hatten. Für diese Rechtfertigung gab es jedoch keinerlei unabhängige Zeugen. Der "Blutige Sonntag" von Derry zerstörte die letzten Sympathien für die britischen Soldaten, die ursprünglich zum Schutz der Katholiken vor protestantischen Übergriffen nach Nordirland abkommandiert wurden. Die Empörung erfasste auch die Irische Republik. In Dublin steckten Demonstranten die britische Botschaft in Brand. Nach dem Massaker bekam die damals noch relativ unbedeutende IRA einen gewaltigen Zulauf, und es begann eine Serie von Terror und Gegenterror, in der 3200 Menschen starben und mehr als 30 000 verletzt wurden. Premierminister John Major nannte den "Blutigen Sonntag" später eine "entsetzliche Tragödie". Aber er lehnte es wie alle britischen Regierungen ab, sich dafür zu entschuldigen oder gar eine neue Untersuchung anzuordnen. Die schließlich von Blair einberufene Kommission hörte über 1000 Zeugen an. Darunter war auch Martin McGuinness. Am "Blutigen Sonntag" war er der stellvertretende Kommandeur der IRA in Londonderry. Heute vertritt er den protestantischen Ministerpräsidenten der autonomen Region. Seine Karriere ist ein Symbol dafür, welchen schmerzlichen Weg zum Frieden Nordirland gegangen ist. Die meisten Angehörigen wollen jetzt einen Schlussstrich unter die schaurige Vergangenheit ziehen. Aber andere prüfen die Möglichkeit, die während der Untersuchung angehörten Soldaten wegen Mordes anzuzeigen. "Wir wissen jetzt, wer meinen Bruder Willie getötet hat", erklärte Joe McKinney. Und er will, dass "Soldat F", der den 27-jährigen damals niederschoss, von der britischen Justiz verfolgt wird.

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