Grünen-Chefs Ein Jahr Habeck und Baerbock – Stabiles Hoch mit Wölkchen

Berlin · Mit vielen Vorschuss-Lorbeeren rückten die Newcomer vor einem Jahr an die Spitze der Grünen. Trotz einiger Wackler folgte auf den Raketenstart kein Absturz.

 Sonnen sich auch nach einem Jahr im Umfrage-Dauerhoch: die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Sonnen sich auch nach einem Jahr im Umfrage-Dauerhoch: die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Küsschen, Strahlen, Blumen, Winken. Für Robert Habeck und Annalena Baerbock begann der Parteivorsitz wie für die meisten Politiker: Beklatscht und bejubelt, in schwungvollen Reden Aufbruchstimmung verbreitend. Doch die Wahl der beiden Grünen-Chefs stach hervor. So viel Hoffnung, so viele Erwartungen in der Parteitagshalle in Hannover.

Ein Jahr ist es nun her, dass Baerbock auf dem Wahl-Parteitag mahnte: „Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite.“ Dass jener Robert zu Baerbock sagte, er wolle „der Mann an deiner Seite“ sein. Ein bisschen Traumpaar-Charme in der Berliner Politik, frische Gesichter, die nach dem gescheiterten Versuch der Regierungsbildung mit Union und FDP für einen Neustart standen.

Den gingen sie entschieden an. Dass sie ihre Büros in der Berliner Parteizentrale zusammenlegten und damit – sprichwörtlich und physisch – Mauern einrissen, erstaunte die Partei. Eine Doppelspitze, die wirklich an einem Strang zieht? Bei den Vorgängern Cem Özdemir und Simone Peter konnte davon keine Rede sein. Sie hatten die Pole der Grünen verkörpert, sie kam von ganz links, er war ein Ober-Realo. Jetzt zwei, die irgendwie zum realpolitischen Flügel gehören, über die der linke Flügel aber kaum ein schlechtes Wort verliert – was bei den Grünen eher ungewöhnlich ist.

Wie kann das sein, wo die beiden doch gefühlt die Partei weiter in die Mitte geschoben haben, an den Platz der SPD? Irgendwie schaffen sie beides: bürgerlich-anschlussfähig und volksparteimäßig zu klingen – und gleichzeitig links zu bleiben mit Gedankenspielen zu einem Grundeinkommen, dem Ruf nach Kindergrundsicherung, dem Wunsch, Facebook zu zerschlagen und Superreiche zur Kasse zu bitten. Das Vorhaben, weniger über die anderen zu schimpfen und mehr eigene Konzepte zu bewerben, kommt an. So konnten Habeck und Baerbock ihre Sommerreise unter das Nationalhymnen-Motto „Des Glückes Unterpfand“ stellen, von „Heimat“ und Liberalismus sprechen, Grenzpolizisten besuchen und das Hermannsdenkmal. Und die Linksgrünen murrten nur leise.

Wer Erfolg hat, hat Recht – und die bundesweiten Umfragen liegen stabil bei 18 bis über 20 Prozent. 10 000 Mitglieder haben die Grünen im letzten Jahr gewonnen und die Marke von 75 000 geknackt. In Bayern und Hessen durften sie sich als Wahlsieger feiern. Im jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ waren Habeck (49) und Baerbock (38) unter den Top Ten der Politiker, im ZDF-„Politbarometer“ liegt Habeck bei den zehn wichtigsten Politikern auf Platz vier. 2018 war er so oft wie kein anderer Politiker zu Gast in den quotenstarken Talkshows.

Ein Ex-Parteichef schrieb Ende 2018 im „Handelsblatt“ eine Art Laudatio auf die beiden: Sigmar Gabriel, dessen SPD in Umfragen nun hinter den Grünen liegt. Baerbock und Habeck widerlegten das Vorurteil, „dass Frauen den Instinkt und die Emotion mitbringen und Männer den Kopf“, hatte der 59-Jährige beobachtet. „Wo er Menschen emotional fischt, sorgt sie für den Kompass an Bord. Wo er den richtigen Riecher hat, unterlegt sie beider Politik mit Substanz. Wo er schillernd wirkt, signalisiert sie Tiefe.“

Fehler hat Baerbock – jedenfalls öffentlich wahrnehmbar – bisher kaum gemacht. Ein nicht ganz ernst gemeint ausgestreckter Mittelfinger bei „Illner“ oder ein Interview über Asylpolitik, das für etwas Aufregung in den eigenen Reihen gesorgt hat, dürften nicht hängenbleiben. Dass sie offen darüber spricht, dass Parteichefin sein und zwei kleine Kinder haben nicht immer einfach ist, bringt Sympathien.

Und er? Sorgte schon eher für Aufreger. Sowohl über Bayern als auch über Thüringen äußerte Habeck sich im Wahlkampf-Eifer, als gebe es dort keine Demokratie. Nach dem Bayern-Spruch entschuldigte er sich, nach dem zweiten Mal verabschiedete er sich unter Selbstbeschimpfung („wie dumm muss man sein“) aus den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook. Eine Überreaktion, finden manche.

Habeck und Baerbock hatten und haben auch Glück: Die SPD erholt sich bisher nicht, die große Koalition begeistert nicht gerade, Umweltthemen wie Klimaschutz und Diesel-Abgas haben Konjunktur, mit der AfD haben die Grünen einen klaren Gegner und die Chance, sich als Alternative gegen Populismus und Angst zu positionieren.

Solche Chancen auf grüne Hochkonjunktur gab es schon früher. Etwa nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011. Dann aber kamen Steuer-Wahlkampf und Veggie-Day. Dass dem Duo Habeck/Baerbock so ein strategischer Fehler passiert, wirkt – Stand jetzt – unwahrscheinlich. Mit der Europawahl, Kommunalwahlen und drei Ost-Landtagswahlen haben sie allerdings schwere Prüfungen vor sich.

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