Die Vorboten der Katastrophe sind da

Damon McKnight (38) starrt gedankenversunken über den Yachthafen, in dem das vom Wind aufgepeitschte Meer die Boote der Fischer von Venice schaukelt. Links die Flotte der Berufsfischer, die ein Viertel aller in den USA konsumierten Fische, Krabben und Garnelen aus dem Golf von Mexiko ziehen. Rechts die kleineren Boote der Sportfischer, die herkommen, um Thunfisch oder Rotbarsch zu fangen

 Solange der Öl-Teppich vor der Küste treibt, bleibt Fischer Matt O'Brien nichts anderes zu tun als abzuwarten. Foto: Spang

Solange der Öl-Teppich vor der Küste treibt, bleibt Fischer Matt O'Brien nichts anderes zu tun als abzuwarten. Foto: Spang

Damon McKnight (38) starrt gedankenversunken über den Yachthafen, in dem das vom Wind aufgepeitschte Meer die Boote der Fischer von Venice schaukelt. Links die Flotte der Berufsfischer, die ein Viertel aller in den USA konsumierten Fische, Krabben und Garnelen aus dem Golf von Mexiko ziehen. Rechts die kleineren Boote der Sportfischer, die herkommen, um Thunfisch oder Rotbarsch zu fangen.

Aus der Ferne mischt sich Gewitter-Donner unter die Schreie der Möwen, die wilde Bahnen im wolkengrauen Himmel schlagen. "Ungewöhnliches Wetter", murmelt Charter-Kapitän McKnight, der wie die anderen Fischer an der Spitze der Plaquemine-Halbinsel heute nicht in See sticht.

Ungewöhnlich wie die Katastrophe, die McKnight bis vor zehn Tagen "nicht im Entferntesten" für möglich hielt. Seit die Bohrinsel "Deepwater Horizon" explodierte und nun täglich rund 800 000 Liter Öl ins Meer pumpt, sucht er das Wasser bang nach Vorboten des Desasters ab, das nicht nur seine, sondern die Existenz einer ganzen Region bedroht. Noch sieht alles normal aus. Kein Ölfilm, keine teefarbene Wellen und kein Gestank. "Unheimlich" findet das der Charter-Kapitän. "Die Katastrophe ist da, aber man sieht sie nicht."

McKnight hofft auf ein Wunder. Dass es bei den Südwinden bleibt, die den gewaltigen Ölteppich, der sich wie ein Tintenfleck im Golf von Mexiko ausweitet, Richtung Mississippi und Alabama treibt. "Die Strände lassen sich leichter reinigen als das Marschland", meint der Fischer nicht ganz uneigennützig. Muss er doch seine beiden Boote abbezahlen, die er für jeweils 150 000 Dollar (rund 113 000 Euro) gekauft hat. Für bis zu 1600 Dollar (rund 1200 Euro) je Tour bringt er damit Sportfischer in "die besten Fanggründe der USA".

"Bis Katrina lief alles prima", sagt der Chef der Firma "Super Strike Charters", mit der er Touristen zum Hochseefischen hinausfährt. Nachdem der Jahrhundertsturm die Dörfer verwüstet und seine Boote beschädigt hatte, fing McKnight von vorn an. Jetzt droht die Katastrophe aus dem Mississippi-Canyon, der gut zwei Stunden vor Venice im Golf von Mexiko liegt. Ein artenreiches Tiefseegebiet, das sich die Fischer mit den Ölkonzernen teilen. Ständig klingelte in den vergangenen Tagen das Telefon seiner Kunden, die sich besorgt nach dem Stand der Dinge erkundigten. "Bisher haben nur zwei Leute abgesagt", gibt sich McKnight optimistisch. Allen anderen sagt er, dass es bei den Terminen bleiben könne. Schließlich betrifft das am Sonntag erlassene Fangverbot nicht die Wasser westlich des Mississippi, der hier in den Golf von Mexiko mündet.

Auch der Präsident machte McKnight Mut. Ganz persönlich bei einem Blitzbesuch in der "Fischfang-Hauptstadt der Welt", wie eine Holztafel im Yachthafen stolz verkündet. "Er hat uns versichert, dass alles gut wird", berichtet er von dem eilig arrangierten Treffen Barack Obamas mit Einwohnern der 500-Seelen-Gemeinde. "Großartig, dass er hier war. Die tun alles, was sie können, um zu helfen." Wegen der kräftigen Winde musste Obama nach der Landung in New Orleans die Weiterreise an Bord der "Marine One" aufgeben. Auf der Fahrt zur Spitze der Halbinsel sah der Präsident, welche Spuren "Katrina" hier hinterlassen hat. Und erhielt eine Ahnung, warum eine Ölpest der Region den Todesstoß versetzen könnte.

Obama spricht von einer "massiven und möglicherweise noch nie da gewesenen Naturkatastrophe" und sichert den Menschen zu, alles zu tun, "was immer und wie lange es nötig ist, die Krise zu beenden". Vor allem macht er klar, wo die Verantwortung liegt. "BP ist verantwortlich für das Leck." Der Konzern müsse für die Schäden aufkommen.

Das verlangt auch Matt O'Brien (39), der "froh ist, dass der Präsident gekommen ist". Der raubeinige Fisch-Großhändler mag Politiker eigentlich nicht, "weil die ihre Fahne immer in den Wind hängen". Nach Hurrikan "Katrina" siedelte er Frau und vier Kinder nach Hattisburg im benachbarten Mississippi um. Auf das Geld der Regierung pfiff er, "weil ich diese ganze Bürokratie nicht ausstehen kann". Aber in diesem Fall freut er sich über die Aufmerksamkeit, die Obama für die Anliegen der Fischer hervorruft. "Die haben 100 Leute hergebracht, um einer Ente den Hintern abzuwischen", beschwert sich O'Brien über den Auftrieb in Venice, wo Dutzende Helfer den ersten und bisher einzigen ölverschmierten Vogel reinigten. Vorrang müsse die Rettung der einzigartigen Fischer-Gemeinden haben, die ganz Amerika mit Meeresfrüchten belieferten.

Fünf Jahre lang arbeitete O'Brien daran, sich von dem Verlust seines Unternehmens beim Hurrikan "Katrina" zu erholen. Heute lebt er auf einem Hausboot und überwacht den Bau seines Garnelen-Docks, dem nur noch das Dach fehlt. "In zwei Wochen sollte es losgehen", verrät der Großhändler, der in Venice zur Welt kam. Jetzt hätten seine Geldgeber in Biloxi "die Panik in den Augen". Die Ölpest komme zur falschesten Zeit - dem Beginn der Shrimp-Saison. "Ohne Shrimps kein Geld und ohne Geld keine Rückzahlung." Damit scheidet O'Brien seinerseits als Kreditgeber für die Fischer aus, die hier seit Generationen von einer Saison zur nächsten leben. "Von Mai bis Oktober sind die Taschen voll, im Frühjahr geht das Geld aus", weiß er zu berichten.

In den mageren Zeiten standen bisher immer die Öl-Konzerne als Auffangnetz bereit. "BP ist nicht unser Feind", sagt O'Brien. Über Jahrzehnte hätten die Fischer und Öl-Konzerne gut miteinander gelebt. "Wasser" und "Öl" hätten sich in Venice stets gut miteinander vermischt.

O'Brien ahnt Böses, wenn die Fischer für längere Zeit nicht rausfahren können. "Dann droht die Revolte." Doch das Urgestein bleibt Optimist. Die beste Hoffnung bestehe darin, dass die Winde weiter nach Süden wehen und die Halbinsel verschonen. Eine Hoffnung, die schon einmal enttäuscht wurde: 2005, als "Katrina" hier das Festland erreichte.

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