Die Todesangst weicht dem Hunger

Manila · Nachdem am Freitag der Taifun „Haiyan“ auf den Philippinen die Ostküste verwüstet und über 10 000 Tote gefordert hat, ist nun Hilfe im Anmarsch. Die Bewohner kämpfen derweil um ihre Familien und ihre Zukunft.

Als Andrew Pomida in Manila aus einer Militärmaschine klettert, hat er nur ein ärmelloses Unterhemd, Shorts und Flip-Flops an. Nichts von dem, was er am Leib trägt, gehört ihm. Er musste sich die Sachen ausborgen. Taifun "Haiyan" hat alles zerstört. Er war einer der schwersten Wirbelstürme seit Jahrzehnten und traf am Freitagmorgen mit voller Wucht auf die Ostküste der Philippinen. Haiyan erreichte Geschwindigkeiten von mehr als 300 Kilometern pro Stunde.

Der 36-jährige Lehrer ist aus der besonders schwer betroffenen Provinz Leyte in die Hauptstadt gekommen. Nun versucht er verzweifelt, Medikamente, Nahrungsmittel und andere Vorräte zu kaufen. In Leyte gibt es nichts mehr. Pomida erzählt von Monsterwellen wie bei einem Tsunami, die über seine Heimatstadt Tacloban gefegt sind. Er und seine zwei Kinder hätten nur überlebt, weil sie sich mit einem Seil an einem Pfosten in einem oberen Stockwerk ihres Hauses festgebunden hatten. Neun seiner Verwandten sind unter den Tausenden Todesopfern. "So viele Menschen sind tot, und viele mehr werden sterben", erzählt er. Es gebe weder Nahrungsmittel noch Medikamente. "Die Regierung bringt Essen, aber es ist nicht genug."

Die kolossale Verwüstung übersteigt die Möglichkeiten und Ressourcen der Helfer. 4,3 Millionen Menschen in 36 Provinzen sind nach Regierungsangaben betroffen. 800 000 sind geflüchtet, 330 000 harren in Notunterkünften aus. Behörden und Polizei befürchteten, dass allein in Leyte etwa 10 000 Menschen in den Tod gerissen wurden und damit weit mehr als bislang angenommen, wie philippinische Medien berichteten. Die meisten seien ertrunken.

Der Sturm hat viele Straßen unpassierbar gemacht. Städte und Dörfer sind von der Umwelt abgeschnitten. Dutzende Flughäfen haben Schäden davongetragen, Strom-, Telefon- und Internetverbindungen sind unterbrochen. Gestern Abend dann ein Lichtblick: Ein Funkturm für Handy-Signale wurde in Tacloban repariert und machte erste Kommunikation möglich, wie Einwohner per Twitter berichteten.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen kündigte an, 40 Tonnen Energienahrung in die schwer verwüsteten Regionen zu bringen. Die EU-Kommission will derweil drei Millionen Euro an Soforthilfe bereitstellen. Deutschland kündigte nach Worten von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) als ersten Schritt 500 000 Euro Soforthilfe an. Ein Team des Technischen Hilfswerks (THW) sei auf dem Weg. Auch die Malteser planen Hilfseinsätze. Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor und die Kindernothilfe unterstützen mit jeweils 50 000 Euro.

Auch die 27-jährige Desiree Tejano wartet auf Hilfe. Sie ist mit ihrer dreijährigen Tochter, ihrer Mutter und Schwester aus Tacloban geflohen. Ihr Vater und eine Schwester blieben zurück, um das beschädigte Haus zu bewachen. "Wir hatten Angst, sie zurückzulassen, aber wir hatten keine Wahl. Es gab dort nichts zu essen und zu trinken", sagt Tejano. Als der Sturm über sie hereinbrach, hielten sie sich aneinander fest, erinnert sie sich. So haben sie überlebt. "Es war, als ob wir von Tsunami und Hurrikane gleichzeitig getroffen wurden", erzählt sie. Überall auf den Straßen hätten Tote gelegen, der Gestank von verwesenden Leichen habe sich ausgebreitet. Ihre Familie habe Glück gehabt. Sie hätten alle überlebt.

Auch Michael Francisco ist aus Tacloban nach Manila gekommen, um Vorräte einzukaufen. Er will nur eine Nacht bleiben und dann zurückkehren. Francisco berichtet von Plünderungen in Tacloban. Die Menschen seien hungrig, meint er, deswegen seien sie in die Läden eingedrungen. Seine zehnjährige Tochter und seine Schwester werden noch vermisst. "Meine Tochter lebt bei ihrer Tante in einem anderen Bezirk", erklärt der 36-jährige Schweißer. Dort habe es schwere Überschwemmungen gegeben. "Ich konnte sie nicht erreichen. Wenn ich zurückkehre, werde ich nach meiner Tochter suchen."

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HintergrundDie Menschen auf den Philippinen haben schon viele Naturkatastrophen erlebt. Aktuell ist es der Riesen-Taifun "Haiyan". Jährlich wird der pazifische Inselstaat von durchschnittlich 20 Taifunen heimgesucht. Erst im September war es der Taifun "Usagi". Seit 2006 wüteten zudem vier große Stürme und forderten tausende Todesopfer.Auch der Vulkan Mayon auf der Hauptinsel Luzon brach in den vergangenen 400 Jahren mehr als 50 Mal aus. Bei mehreren Ausbrüchen von 2000 bis 2009 flohen Zehntausende aus der Gefahrenzone. Der Vulkan Pinatubo brach 1991 nach 600-jähriger Ruhe aus, hunderte Menschen starben.Das Gebiet entlang der Küsten des Pazifischen Ozeans wird häufig auch von Erdbeben heimgesucht. Mitte Oktober 2013 kamen bei einem Beben mehr als 220 Menschen ums Leben. 1990 starben rund 1600 Menschen. dpa

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