Die Tage der Wehrpflicht sind gezählt

Berlin. Offiziell war es nur eine erste Wasserstandsmeldung zur Bundeswehrreform, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gestern den Experten der Koalitionsfraktionen vortrug. Ein ausgefeiltes Konzept will er erst im September vorlegen. Trotzdem gilt der Termin als Startschuss für den wohl tiefgreifendsten Wandel der Streitkräfte seit ihrer Gründung vor 55 Jahren

Berlin. Offiziell war es nur eine erste Wasserstandsmeldung zur Bundeswehrreform, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gestern den Experten der Koalitionsfraktionen vortrug. Ein ausgefeiltes Konzept will er erst im September vorlegen. Trotzdem gilt der Termin als Startschuss für den wohl tiefgreifendsten Wandel der Streitkräfte seit ihrer Gründung vor 55 Jahren. Viel Zeit bleibt dafür nicht: In spätestens zwölf Wochen soll die Reform zumindest in ihren Grundzügen unter Dach und Fach sein. Am 15. und 16. November entscheidet die CDU auf ihrem Parteitag in Karlsruhe darüber. Die erste Nagelprobe findet zwei Wochen vorher auf dem CSU-Parteitag statt. Kleiner, aber besser - so stellt sich Guttenberg die Bundeswehr der Zukunft vor. Die Streitkräfte sollen fast um ein Drittel schrumpfen. Die Wehrpflicht soll ausgesetzt und durch einen Freiwilligendienst ersetzt werden. "Das wird eine andere Bundeswehr", sagen diejenigen in der Union, die der Wehrpflicht nachtrauern. Sie gehört zum "Markenkern" von CDU und CSU. Die Befürworter der Wehrpflicht haben sich in Stellung gebracht. Einer ihrer Wortführer ist mit dem jungen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister ein ähnlicher Politikertyp wie Guttenberg. "Ich darf nur daran erinnern, dass unsere CDU seit 1955 immer die Partei der Wehrpflicht war", sagte der 39-jährige Shootingstar, der nur ein Jahr älter als der Verteidigungsminister ist, am Rande einer CDU-Präsidiumssitzung. Auch die saarländische CDU hat sich wiederholt für die Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen. Die Chancen, dass Guttenberg mit dem Aussetzen der Wehrpflicht durchkommt, stehen trotzdem nicht schlecht. Das finanzielle Argument wird ihm dabei allerdings am wenigsten helfen. Guttenberg selbst betonte, Sparziele stünden bei der Reform nicht im Vordergrund. "Es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage geben, sondern eine, die die sicherheitspolitischen und verteidigungspolitischen Herausforderungen bewältigen kann." Vielmehr dürfte der jetzige Zustand des Wehrdienstes ins Gewicht fallen. Die Dauer ist in den vergangenen Jahren so stark gekürzt worden, dass eine sinnvolle Ausbildung kaum mehr möglich ist. Auf Druck der FDP hatte sich die Union zuletzt in den Koalitionsverhandlungen zu einer sechsmonatigen Dienstzeit hinreißen lassen. Guttenberg hat den Beschluss zum 1. Juli umgesetzt. Alle Experten sind sich einig, dass eine so kurze Dienstzeit weder der Bundeswehr noch den Wehrdienstleistenden etwas bringt. Hinzu kommt das Problem der Wehrgerechtigkeit. Nur noch 13 bis 16 Prozent eines Jahrgangs werden heute noch zur Bundeswehr eingezogen. Die Tatsache, dass die Wehrpflicht im Grundgesetz verankert bleibt, dürfte es den Befürwortern ebenfalls erleichtern, die faktische Aussetzung zu akzeptieren. Mit einem einfachen Gesetz kann der Pflichtdienst jederzeit wieder eingeführt werden, wenn die Sicherheitslage das erfordert. "Ich wundere mich immer wieder über den einen oder anderen Schlaumeier, der weiß, wie in 20 Jahren die Welt aussieht", begründete der Minister seine Entscheidung für ein Aussetzen. Trotzdem hat Guttenberg auch für eine Bundeswehr mit Wehrpflicht ein Modell vorgelegt. Danach soll die Truppe auf 210 000 Soldaten verkleinert werden, davon 30 000 Wehrpflichtige. Sein Favoritenmodell hat Guttenberg flexibel gestaltet, um den Unionsparteien möglichst viel Spielraum zu lassen. Die Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für die anstehende schwierige Debatte hat er jedenfalls erst einmal. Sie will sich aus der Auseinandersetzung zwar zunächst einmal heraushalten. Sie zeigte sich allerdings offen für ein Aussetzen der Wehrpflicht. Die Kanzlerin unterstütze "neues Denken", sagte ihr Sprecher Steffen Seibert gestern. "Es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage geben."VerteidigungsministerKarl-Theodor zu Guttenberg

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