Die SPD verkündet den Osterfrieden: Sarrazin bleibt Mitglied

Berlin. Die Entscheidung war eine handfeste Überraschung. Thilo Sarrazin (Foto: dpa), in den eigenen Reihen heftig kritisiert als "gefährlicher Provokateur", darf in der SPD bleiben. Seine Thesen über integrations- und leistungsunwillige muslimische Zuwanderer vermengt mit umstrittenen Vererbungstheorien hatten einen Aufschrei bis zur SPD-Spitze ausgelöst

Berlin. Die Entscheidung war eine handfeste Überraschung. Thilo Sarrazin (Foto: dpa), in den eigenen Reihen heftig kritisiert als "gefährlicher Provokateur", darf in der SPD bleiben. Seine Thesen über integrations- und leistungsunwillige muslimische Zuwanderer vermengt mit umstrittenen Vererbungstheorien hatten einen Aufschrei bis zur SPD-Spitze ausgelöst. Der Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte ihn gar als "Hobby-Darwin" und Wegbereiter für "die Hassprediger im eigenen Volk" bezichtigt. Doch nun einigten sich beide Parteien am Donnerstagabend vor der Schiedskommission gütlich - damit hatte nach der monatelang aufgeheizten Debatte niemand gerechnet."Das wird auch interessant werden, so viel kann ich sagen", war der einzige Kommentar, den sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kurz vor Verkündung der Entscheidung durch die Vorsitzende der Schiedskommission, Sybille Uken, entlocken ließ. Danach war die "Chef-Anklägerin" Nahles, die den Ausschlussantrag begründet hatte, zu keiner Erklärung mehr bereit. Nun aber bleibt der Eindruck, die SPD-Führung sei eingeknickt.

Voraussetzung für die Rücknahme der Ausschlussanträge war eine schriftliche Erklärung Sarrazins zu den Thesen in seinem umstrittenen Bestseller "Deutschland schafft sich ab". In der Erklärung versichert der 66-Jährige, er habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen oder Migranten zu diskriminieren.

Doch in seiner Erklärung nimmt Sarrazin kaum eine seiner umstrittenen Thesen zurück. Er wehrt sich gegen in seinen Augen falsche Interpretationen. So habe er nie verlangt, "sozialdarwinistische Thesen" oder eine "selektive Bevölkerungspolitik" in die politische Praxis umzusetzen. Juso-Chef Sascha Vogt nannte in der "Welt" die Erklärung "mehr als dürftig". Warum sich die SPD damit zufrieden gibt, bleibt unbeantwortet. Die Vorsitzende der SPD-Schiedskommission hat allen Teilnehmern ein Schweigegebot auferlegt. Erst nach Ostern würden die Beteiligten dazu Stellung nehmen, verkündete Uken. So formulierte sie die österliche Friedensbotschaft. "Wir haben uns darauf verständigt, uns als SPD nicht auseinander dividieren zu lassen, auch nicht durch Interpretationen von außen."

Es bleibt der Eindruck der Schadensbegrenzung. Die SPD möchte sich einen unangenehmen medialen Dauerbrenner vom Hals schaffen. Bei einem Ausschluss "ihres Dissidenten" drohte ihr ein sich über Monate hinziehender Rechtsstreit. Sarrazin, seit bald 40 Jahren Sozialdemokrat, hatte mehrfach angekündigt, sich notfalls durch alle Parteiinstanzen zu klagen. Das macht sich in dem wichtigen Wahljahr 2011 nicht gut. Auch in Sarrazins Heimatland Berlin wird am 18. September ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Die gütliche Einigung erlaubt Gabriel nur minimale Gesichtswahrung. Zudem war der Ausschluss Sarrazins auch intern umstritten. Parteigrößen von Helmut Schmidt bis Peer Steinbrück sprachen sich dagegen aus. In Umfragen lehnten gut die Hälfte der SPD-Mitglieder einen Ausschluss ab.

Meinung

SPD ist blamiert

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

Wozu eigentlich das ganze Theater um den Rauswurf Thilo Sarrazins aus der SPD, wenn eine Erklärung genügt, um das ganze Verfahren seitens der Parteiführung wieder einzustampfen? Nicht nur Generalsekretärin Andrea Nahles steht jetzt belämmert da, sondern vor allem der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. Er war schließlich derjenige, der den Ausschluss des Provokateurs so laut wie kaum ein anderer gefordert hat. Die SPD hätte ihre Kraft eher darauf verwenden sollen, ein eigenes, überzeugendes Integrationskonzept zu erarbeiten, statt auf einer Welle mitschwimmend Sarrazin zum Parteifeind zu erklären. Zumal in Berlin ein Wahlkampf läuft, in dem die SPD von Bürgermeister Wowereit derzeit keine sonderlich gute Figur macht.

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