66 Prozent für die Groko Die SPD-Spitze verzichtet auf Triumphgeschrei
Berlin · Nach dem deutlichen Basis-Votum für die Groko will die Parteiführung Gräben schließen.
Niemand in der deutschen Politik kann, wenn es darauf ankommt, neutraler gucken und tonloser reden als Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, gelegentlich auch Scholzomat genannt. Und bei der Verkündung des Ergebnisses der SPD-Urabstimmung über die Groko kommt es darauf an. Denn zum einen setzen sich die Befürworter mit 66 Prozent deutlicher als erwartet durch. Die SPD-Führung will alles vermeiden, was die innerparteilichen Gräben vertieft. Zum anderen ist das Ergebnis aber weit schlechter als vor vier Jahren, als noch 76 Prozent für die Zusammenarbeit mit der Union votierten.
Das Willy-Brandt-Haus hat eine Nacht lang dichtgehalten, und das ist bei der wegen seiner Informationslecks bekannten SPD-Zentrale sehr selten. Den freiwilligen 120 Zählern werden sogar die Handys abgenommen, die Fenster sind mit Folien verklebt. Polizisten bewachen das Gebäude. Von Samstagnachmittag bis Sonntagmorgen werden 378 000 Briefe geöffnet, geprüft und gezählt. 78 Prozent der SPD-Mitglieder haben sich beteiligt, wie 2013. Als Juso-Chef Kevin Kühnert, Anführer der No-GroKo-Kampagne morgens um sieben kommt und kurz danach mit ziemlich mürrischem Gesicht das Gebäude vorübergehend wieder verlässt, ahnt man das Ergebnis schon. „Wir haben jetzt Klarheit: Die SPD wird in die nächste Regierung eintreten“, sagt Scholz, kommissarischer Parteivorsitzender, schließlich um halb zehn vor hunderten von Journalisten. Es klingt ungefähr so enthusiastisch wie: Der Wetterbericht ist da, morgen wird es wärmer.
Die freiwilligen Helfer stehen oben an der Balustrade und blicken hinunter auf den Medienrummel. Als Schatzmeister Ditmar Nietan die Zahlen vorträgt – 66 Prozent Ja-Stimmen, 34 Prozent Nein – herrscht eine gespenstische Stille, niemand klatscht. Vielleicht sind alle auch nur müde, im Foyer stehen viele leere Kaffee-Becher herum. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt twittert erstaunt: „So ein ganz klein wenig staatstragende Freude aufs Regieren würde der SPD ja schon guttun.“
Andrea Nahles, Fraktions- und künftige neue Parteivorsitzende, erlaubt sich beim Weggehen immerhin ein „Ja, ich bin zufrieden, das kann ich schon sagen“. Mehr nicht. Sie erzählt noch, dass die Stimmung unter den Zählern, unter denen es sicher auch viele Groko-Gegner gebe, beim Abschiedsfoto sehr einträchtig gewesen sei. „Ich fand das sehr schön, weil es zeigt, dass wir zusammenbleiben in der Partei.“ Das ist die Hauptsache an diesem Tag. Und es gelingt, weil auch die Groko-Gegner mitspielen, allen voran Kühnert.
Über Twitter tritt der Juso-Chef persönlich Gerüchtemachern entgegen, die irgendwelche Unregelmäßigkeiten entdeckt zu haben glauben. „Kein Beschiss, bitte Verschwörungstheorien stecken lassen.“ Beweis? Sogar sein Opa sei unter den Zählern, berichtet der 28-Jährige, und der sei „stramm gegen die Groko und nachweislich unbestechlich“. Kühnert fordert die Gegner, viele davon erst seit kurzem Parteimitglied, auf, in der SPD zu bleiben. „Aus der SPD tritt man nicht aus, aus der SPD stirbt man raus.“ Nach Bekanntgabe des Ergebnisses steht er noch lange mit den Journalisten zusammen. Natürlich sei er enttäuscht, sagt er. „Aber wir sind keine schlechten Verlierer.“ Die Arbeit an der Erneuerung der SPD beginne jetzt. Kühnert sieht den Verlauf der Groko-Debatte als ein Beispiel, wie die SPD sich verändern muss. „Wir werden einfordern, dass wieder politischer Streit in dieser Partei und Gesellschaft stattfindet.“
Um die versprochene innerparteiliche Erneuerung geht es bei der Vorstandsklausur, die am Wochenende parallel zur Auszählung stattfindet. Die Runde redet noch nicht über das Personal. Nahles und Scholz wollen sich mit der Benennung der künftigen SPD-Minister Zeit lassen. Nur, dass es drei Frauen und drei Männer sein sollen und dass es auch den einen oder anderen Neuzugang geben werde, lässt sich Scholz schon entlocken. Er selbst ist als künftiger Finanzminister praktisch gesetzt.