Die Seuche des JahrhundertsLeben mit der Krankheit - Betroffene erzählenSaarbrücker dreht Film zum Welt-Aids-Tag 2009

Berlin. Alle zwölf Sekunden infiziert sich irgendwo auf der Welt ein Mensch mit dem Aidserreger HIV. Und täglich sterben nach Angaben von Unicef allein 800 Kinder an den Folgen von Aids. Zum heutigen Weltaidstag forderte die Organisation daher, mehr Test- und Behandlungsmöglichkeiten für bedrohte Neugeborene in den Entwicklungsländern zu schaffen

Berlin. Alle zwölf Sekunden infiziert sich irgendwo auf der Welt ein Mensch mit dem Aidserreger HIV. Und täglich sterben nach Angaben von Unicef allein 800 Kinder an den Folgen von Aids. Zum heutigen Weltaidstag forderte die Organisation daher, mehr Test- und Behandlungsmöglichkeiten für bedrohte Neugeborene in den Entwicklungsländern zu schaffen. Nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erhalten neun von zehn betroffenen Kindern keine modernen Medikamente. Etwa 1,9 Millionen Kinder benötigen diese Arzneien, aber nur 200000 erhalten sie. Insgesamt sind im vergangenen Jahr sowohl in Deutschland als auch weltweit weniger Menschen an Aids gestorben als im Vorjahr.In Deutschland kamen im vergangenen Jahr 461 Menschen durch die Folgen der Immunschwächekrankheit ums Leben, 43 weniger als 2006. Das entspricht einem Rückgang von 8,5 Prozent. Damit habe sich der insgesamt rückläufige Trend nach vier Jahren der Stagnation fortgesetzt, teilte das Statistische Bundesamt mit. Die Zahl der Infektionen sei zwar im Vergleich zum Vorjahr um 100 auf etwa 2800 gestiegen, die Lebenserwartung der Infizierten hat sich aber durch neue Wirkstoffe und die Kombination mehrerer Medikamente verlängert. 2007 waren die an Aids gestorbenen Menschen im Schnitt 50 Jahre alt, 1997 lag das Sterbealter noch bei 42 Jahren.

Diese Entwicklung beobachtet auch die Deutsche Aids-Siftung. "1997 waren 23,5 Prozent der Antragsteller über vierzig, 2007 bereits 55 Prozent", sagt Ulrich Heide, geschäftsführender Vorstand der Stiftung.

Damit habe sich der Anteil älterer Antragsteller binnen zehn Jahren verdoppelt. Dank der verbesserten Medikation steige die Lebenserwartung der Betroffenen, erläuterte Heide.

Die Stiftung gehe davon aus, dass in Deutschland künftig mindestens 1000 Pflegeplätze für Aidskranke benötigt würden. Bereits heute steige die Anzahl derer, die mit Aids in Altenheime eingeliefert würden. Das sei aber keine zufriedenstellende Lösung, da sich nicht nur das Pflegepersonal, sondern auch viele der Heimbewohner mit den Aidskranken schwer täten.

"Die Aids-Kranken sind vierzig oder fünfzig Jahre alt, während die Mehrzahl der anderen Bewohner eher über achtzig ist. Das ist für beide Gruppen schwierig", erklärte Heide.

Aids ist nach wie vor nicht heilbar. Forscher hoffen nun auf eine neue Generation von Aids-Medikamenten. In klinischen Versuchen wird getestet, ob die Mittel den Aidserreger auch vorbeugend blockieren und HIV-freie Menschen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko vor einer Infektion bewahren können.

Amerikas oberster Aidsbekämpfer, Anthony S. Fauci, ist eigenen Worten nach "vorsichtig optimistisch". Bisher sei nichts bewiesen, aber Tierversuche, auch mit Primaten, ließen auf eine vorbeugende Wirkung dieser antiretroviralen (ARV) Medikamente hoffen, sagt der Direktor des Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten bei den amerikanischen Gesundheitsbehörden.

Getestet werden zwei Anti-Aids-Pillen. Eine enthält den Wirkstoff Tenofovir, die andere zusätzlich Emtricitabin.

Der als HAART (Highly Active Antiretroviral Therapy) bekannte Arzneityp blockiert das Virus und bremst seine Ausbreitung im Körper. Die Patienten haben dann weniger Viren im Blut, dem Samen oder der Scheide. Seit langem rätseln Mediziner, ob der gleiche Arzneityp den Erreger nicht schon beim Eindringen in einen noch nicht infizierten Körper abwehren könnte. dpa/epd/redSaarlouis. Er hält inne. Senkt den Kopf. Ringt um Fassung. Dennoch: Tränen füllen die Augen des schlanken Mannes mit dem kräftigen, leicht grau melierten Haar. Zu intensiv ist die Erinnerung an Freunde, von denen er sich verabschieden musste. An Menschen, die wie er mit Aids gekämpft, aber verloren haben. Was es bedeutet, mit dem HI-Virus infiziert zu sein, das weiß Mike Mathes (47, Foto: Welter), Künstler in Saarlouis, seit 25 Jahren. Mathes: "Anfangs merkte ich nichts. Doch vor elf Jahren fing mein Immunsystem an, verrückt zu spielen. Ich wurde schwächer, bekam Ekzeme und Depressionen. Seitdem nehme ich zwei Mal am Tag meine Medikamente." Ein Cocktail, der zu Durchfall, Erbrechen oder Fettstoffwechselerkrankungen führen kann. Der - in Mikes Fall - das Kurzzeitgedächtnis schwächt, den Schlaf beeinträchtigt. Doch ohne Arznei geht es nicht: "Dann würde ich heute nicht mehr leben." Wenn der Mut schwindet ("Ich denke sicher öfter an Tod als Nicht-Infizierte"), dann hilft ihm neben seiner Arbeit vor allem sein nicht infizierter Partner, mit dem er seit 19 Jahren zusammen ist.

Mike Mathes versteckt die Krankheit nicht: "Ich wollte mich, nachdem ich mich getraut hatte, als Schwuler zu leben, nicht schon wieder verbergen." Was ihm unterschiedliche Resonanz bescherte: "Manche kannten mich nicht mehr. Viele hatten Angst. Andere wandten sich mir stark zu." Das rief ein Wechselbad der Gefühle hervor: "Ich war sehr deprimiert, manchmal wütend." Auf die Bandbreite der Reaktionen will Karl (28, Name der Redaktion bekannt), braunhaarig, lässig gekleidet und HIV-infiziert, lieber verzichten. Bei ihm wissen nur die Familie und wenige Freunde von seiner Immunschwächekrankheit. Schon da reichte das Spektrum von "gut aufgenommen" bis "panisch": "Ich habe nicht vor, das groß bekannt zu geben." Das haben ihm auch die Betreuer von der Aids-Hilfe Saar (siehe unten) geraten. Er steckte sich bei seinem damaligen Freund mit dem HI-Virus an, weil, wie er sagt, "einiges schief gegangen ist". Seit Anfang des Jahres erst weiß Karl, dass er das Virus in sich trägt. Zuerst zog er sich sehr zurück. Karl: "Jetzt ist es aber wieder besser. Ich denke mir, das ist eine chronische Krankheit, die ziemlich gut oder ziemlich schlecht laufen kann." Gleichwohl, verändert hat die Diagnose ihn schon. Karl zog vom Umland nach Saarbrücken: "Dort ist es anonymer." Und: "Die Ziele im Leben - alles ist näher gerückt."

Aber sie sind da. Der Ex-Biostudent sucht Arbeit "im Gartenbereich". Er will mit dem Rauchen aufhören: "Dafür brauche ich aber noch zwei, drei Monate." Der junge Mann senkt den Kopf: "Ich würde mich gern wieder verlieben.

Das ist jetzt schwieriger." Saarbrücken. Heute in einem Jahr, am Welt-Aidstag 2009, soll der Film fertig sein, hofft Dominik Bechtel. Denn sein Film "-/+" (sprich Negativ-Positiv), dreht sich um die Immunschwächekrankheit, um Bedrohung, um Sorglosigkeit und Verdrängung. Am Donnerstag hat er das Projekt erstmals vorgestellt, im Saarbrücker Camera-Zwo-Studio, begleitet von Frank Kreuzer, dem Geschäftsführer der Aids-Hilfe Saar e.V. Die will den Film, wenn er fertig ist, werbend begleiten; schließlich, findet Kreuzer, fehlten Filme, die sich mit dem Thema beschäftigen, das ohnehin weit weniger im Bewusstsein der Menschen präsent sei als noch vor Jahren. Die Krankheit sei zwar auch nach 25 Jahren "grandios gescheiterter" Impfstoff-Forschung noch nicht heilbar, aber so weit zu behandeln, dass "das Bild der Krankheit" aus der Gesellschaft verschwunden sei. Um so nötiger sei ein Film wie "-/+". Bechtels Drehbuch erzählt von einem namenlosen Studenten, der es trotz Freundin weder mit der Treue noch mit geschütztem Sex allzu ernst nimmt. Als der HIV positiv diagnostiziert wird, setzt kein Umdenken ein - mit tragischen Konsequenzen.Die Umsetzung des Projekts ist ambitioniert und pragmamatisch-bescheiden zugleich. Eigentlich schwebe ihm ein Traum-Budget von 65000 Euro vor - für einen Kinofilm ohnehin eine winzige Summe, doch mit der Finanzierung hapere es noch, um die 15000 Euro habe man bisher zusammen.

Und sollte die Suche nach weiteren Sponsoren und Unterstützern vergeblich sein - die saarländische Filmförderung hat das Projekt abgelehnt - , "dann müssen wir den Film eben so machen". 29 Drehtage sind 2009 geplant, die meisten in Saarbrücken, einer in Frankreich, zwei in Luxemburg. Um die 17 Leute stark wird das Team sein, vielleicht aufgestockt um einige Praktikanten. Geld gibt es erst mal für niemanden: "Rückstellung" heißt das, kreative Selbstausbeutung bedeutet es. tok

Auf einen Blick

Zum heutigen Weltaidstag haben die UN eine Auswahl von Begriffen zusammengestellt, die den Umgang der afrikanischen Bevölkerung mit der weitgehend noch als Tabu behandelten Immunschwäche dokumentiert. Hier eine Auswahl:Namibia: In der Oshindonga-Sprache ist es eine "Krankheit der Schande" ("Omukithi gwo gini").

Botsuana: In der örtlichen Setsuana-Sprache ist Aids "Die Krankheit, über die im Radio gesprochen wird" ("Onale jwa radio") oder "Die Krankheit, die uns befallen hat" ("Bolwestse jo booleng").

Nigeria: In der Yoruba-Sprache ist Aids der "Fluch" ("Eedi") oder die "Krankheit ohne Heilung" ("Arun ti ogbogun"). dpa

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