Die Schweiz will keine Festung sein

Bern · Es ist ein Nein, das auch ein Ja ist: Die Schweizer lehnen eine starke Drosselung der Zuwanderung ab - und bekennen sich zur Kooperation mit der EU. Wird das Verhältnis zu Brüssel nun bereinigt?

Aufatmen in Bern und wohl auch in Brüssel : Ecopop ist vom Tisch. Was so harmlos klingt wie Wodka-Limonade, war das Schlagwort einer Volksinitiative, die aus der Schweiz eine Alpenfestung mit für Ausländer extrem beschränktem Zugang inmitten der Europäischen Union gemacht hätte. Nur noch 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung sollten künftig pro Jahr einwandern dürfen - kaum mehr als ein Sechstel der derzeitigen Zuwanderung.

Unmittelbar betroffen hätte das viele Deutsche, Italiener, Franzosen und Bürger anderer EU-Staaten. Auch deshalb galt der Ecopop-Urnengang als Abstimmung über das Verhältnis des einzigen Nicht-EU-Mitglieds im Herzen des Kontinents zur Europäischen Union. "Die Abstimmung über Ecopop ist auch eine Abstimmung über die bilateralen Verträge (mit der EU)", hatte der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann immer wieder betont. Bei einem Ja zur Forderung des Vereins Umwelt und Bevölkerung - Ecopop stammt von dessen französischem Namen Ecologie et Population - hätte Bern zwangsläufig gegen die "Bilateralen" verstoßen müssen. Das Nein von fast drei Vierteln der Referendumsteilnehmer zeige hingegen, dass die Schweizer "diesen Bruch mit Europa" nicht wollten, erklärte das "Komitee solidarische Schweiz - Nein zu Ecopop".

In seltener Einmütigkeit loben nun Gewerkschaften wie Unternehmer das Votum der Eidgenossen. Arbeitnehmervertretungen, die sehr genau darauf achten, dass Einwanderung nicht zu Lohndumping führt, argumentierten genau wie die Wirtschaft: Ein Ja zu Ecopop hätte die Schweiz den gleichberechtigten Zugang zum riesigen europäischen Binnenmarkt gekostet. Eine Horrorvorstellung für die vielen auf Export angewiesenen Unternehmen des Alpenlandes. Sie hatten vor einem erheblichen Verlust an Arbeitsplätzen gewarnt.

Dass die Schweizer derart eindeutig Nein sagten - laut Umfragen waren zuvor nur 56 Prozent gegen Ecopop -, hat neue Debatten über die knappe Zustimmung zu einer weniger drastischen Zuwanderungsbremse ausgelöst. Sie war Anfang des Jahres vom Volk beschlossen worden - mit äußerst knapper Mehrheit. Für diese Initiative "Gegen Masseneinwanderung" der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) stimmten im Februar 50,3 Prozent. Denn knapp oder nicht: Damit ist die Regierung verpflichtet, die Zuwanderung auch von EU-Bürgern wieder durch die Festlegung jährlicher Kontingente zu steuern. Genaue Zahlen muss sie zwar erst bis 2017 vorlegen, aber klar ist: Auch diese Kontingent-Regelung verstößt gegen die "Bilateralen".

Verhandlungen mit der EU sollen dazu demnächst aufgenommen worden. Aber vielleicht werden die nun überflüssig: Auch ein Volk könne sich mal irren, das Februar-Votum sei eine Fehlentscheidung gewesen, argumentiert die kürzlich formierte Initiativgruppe "Raus aus der Sackgasse". Sie will, unterstützt von Wirtschaftsverbänden, eine Volksabstimmung über die Streichung des Februar-Votums "Gegen Masseneinwanderung" lancieren.

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