Wer soll das bezahlen? Die Ruhe vor dem Sturm bei der Rente

Berlin · Noch sind die Kassen gut gefüllt, doch schwindelerregende Prognosen über künftig nötige Steuermilliarden überschatten die notwendige Reformdebatte.

 Dass Rentner auch in Deutschland bald auf die Straße gehen, ist schwer vorstellbar. In Spanien, hier Barcelona im April, passiert das häufiger.

Dass Rentner auch in Deutschland bald auf die Straße gehen, ist schwer vorstellbar. In Spanien, hier Barcelona im April, passiert das häufiger.

Foto: dpa/Paco Freire

Wegen der guten Konjunktur und sprudelnder Einnahmen können sich die mehr als 20 Millionen Rentner in Deutschland im Juli auf eine Erhöhung ihrer Bezüge um mehr als drei Prozent freuen. Doch mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge gerät die Alterssicherung immer stärker unter Druck. Zugleich hängt das Risiko Altersarmut wie ein Damoklesschwert über Einkommensschwachen. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) hat versprochen, die Probleme anzugehen. Offen ist: Wie viele Milliarden kostet die Umsetzung der Koalitionspläne zur Rente? Sind die Kompromisse erfolgversprechend? Wer muss ab wann womöglich noch länger als bis 67 arbeiten?

Noch sind die geburtenstarken Jahrgänge überwiegend im Arbeitsleben. Doch schon gegen Ende dieser Wahlperiode ändert sich das. „Das Verhältnis von Rentenempfängern zu Beitragszahlern steigt bis 2025 um 15 Prozent und bis 2035 um 35 Prozent“, sagt der Münchner Forscher Axel Börsch-Supan. Die Zauberformel der Koalition gegen den Druck auf die Rente lautet „doppelte Haltelinie“. Nach einer Idee von Heil-Vorgängerin Andrea Nahles wollen Union und SPD das Rentenniveau, also das Verhältnis von Rente zu Durchschnittseinkommen, bis 2025 auf dem heutigen Stand von 48 Prozent halten. Der Beitragssatz soll von derzeit 18,6 Prozent nicht über 20 Prozent steigen.

Börsch-Supan sieht durch das Versprechen eines stabilen Rentenniveaus vor allem die Interessen der wahlentscheidenden Mittelschicht „vorübergehend bedient“. Altersarmut werde so nicht bekämpft; sie entstehe durch Erwerbsminderung, prekäre Jobs, lange Arbeitslosigkeit. Zur Abmilderung des Risikos für die Betroffenen plant die Koalition eine Grundrente, die langes Arbeiten zu geringem Lohn, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung honoriert – und zudem eine bessere Absicherung bei Berufsunfähigkeit. Doch wie soll das alles finanziert werden? „Derzeit ist die Rentenversicherung gut aufgestellt“, stellt Präsidentin Gundula Roßbach fest. „Für diese Legislaturperiode gehen wir nach den bisherigen Prognosen davon aus, dass wir die 48 Prozent Rentenniveau und die 20 Prozent Beitragssatz halten werden.“ Wenn es längerfristig bei Haltelinien bleiben soll, müssten aber etliche Steuermilliarden fließen – der Beitragssatz dürfte dann ja nicht mehr steigen. Börsch-Supan warnt vor Steuerbedarf von 80 Milliarden Euro mehr pro Jahr ab 2035. Der würde dann steigen und steigen. Schon nach geltendem Recht soll der Rentenzuschuss des Bundes bis 2022 laut Finanzministerium auf 109 Milliarden wachsen.

Roßbach hält von Spekulationen über Milliardenkosten wenig. „Welche Mittel in der Zukunft für die Haltelinie beim Rentenniveau und beim Beitragssatz nötig sind, ist noch unklar“, sagt sie. Sicher ist: Die geplante erweiterte Mütterrente dürfte rund 3,7 Milliarden Euro kosten. Die Finanzierung ist offen, Roßbach pocht aber schon mal auf Steuermittel für diese „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Für die geplanten Verbesserungen der Rente bei Erwerbsminderung taxiert sie die Kosten auf rund 1,5 Milliarden. Dazu kommt die ab 2019 geplante paritätische Finanzierung der Zusatzbeiträge bei der Krankenversicherung auch bei Rentnern, was 1,4 Milliarden Euro kosten dürfte.

Eine Rentenkommission auch mit den Sozialpartnern soll bis 2020 Empfehlungen geben. Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) sagt mit Blick auf die absehbaren Kosten: „Die Rentenkommission darf sich nicht nur mit Rentenniveau und Beitragssatz der gesetzlichen Rente beschäftigen, sondern muss ein schlüssiges Gesamtkonzept der deutschen Alterssicherung über 2025 hinaus vorlegen.“ Für Rentenpräsidentin Roßbach ist dabei zentral, auch die private Vorsorge und Betriebsrenten in den Blick zu nehmen: „Ich gehe davon aus, dass in der Rentenkommission die Gesamtlage betrachtet wird.“

Mit dem Eintrittsalter gibt es noch eine weitere, sehr unpopuläre Stellschraube. Bis zur Rente mit 67 wird die Grenze angehoben. Nicht nur Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble löste schon Protest aus mit dem Ruf nach noch längerem Arbeiten. Roßbach sagt: „Im Hinblick auf eine mögliche weitere Anhebung der Altersgrenzen sollten wir uns erst einmal die Entwicklung anschauen: Was passiert auf dem Arbeitsmarkt und wie geht es beispielsweise mit der Zuwanderung weiter?“

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