Die Realität des Krieges überrollt die Euphorie

Saarbrücken vor Kriegsbeginn: Am 12. Oktober 1911 landet das Luftschiff "Schwaben" auf dem Flugplatz auf den St. Arnualer Wiesen. Eine Sensation. Drei Tage später finden hier die ersten "Saarbrücker Flugtage" statt. Und es wird gebaut und gebaut: Schulen und öffentliche Bauwerke entstehen, Straßen werden asphaltiert

 Saarbrücken im Ersten Weltkrieg: Das historische Foto zeigt einen Jungen, der am 9. August 1915 in einem Bombentrichter sitzt. Die Mienen der Umherstehenden zeigen Fassungslosigkeit. Foto: Erich Teibach/ entnommen aus "Als der Krieg über uns gekommen war (Hrsg.: Stadtverband Saarbrücken)

Saarbrücken im Ersten Weltkrieg: Das historische Foto zeigt einen Jungen, der am 9. August 1915 in einem Bombentrichter sitzt. Die Mienen der Umherstehenden zeigen Fassungslosigkeit. Foto: Erich Teibach/ entnommen aus "Als der Krieg über uns gekommen war (Hrsg.: Stadtverband Saarbrücken)

Saarbrücken vor Kriegsbeginn: Am 12. Oktober 1911 landet das Luftschiff "Schwaben" auf dem Flugplatz auf den St. Arnualer Wiesen. Eine Sensation. Drei Tage später finden hier die ersten "Saarbrücker Flugtage" statt. Und es wird gebaut und gebaut: Schulen und öffentliche Bauwerke entstehen, Straßen werden asphaltiert. Eine neue Kläranlage und Kanalisation verbessern die hygienischen Bedingungen in der neuen Großstadt Saarbrücken, die zwei Jahre zuvor durch die Vereinigung von Burbach-Malstatt, St. Johann und Saarbrücken entstanden ist.

Aber dann geht die Konjunktur zurück und die Stimmung der Saarbrücker trübt sich. Der Saarbrücker Architekt und Reserveoffizier Hans Weszkalnys, Jahrgang 1867, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: "Dieser Konjunkturrückgang (...) wurde dadurch noch besonders verschärft, dass die großen Hypothekenbanken keine Baugelder mehr nach Saarbrücken gaben. Als ich einen Agenten fragte, flüsterte er: 'Ein Krieg könnte für uns unglücklich ausgehen, dann käme das Saargebiet zu Frankreich.' Militär war 1913 schon ein alltäglicher Anblick für die Saarbrücker. In Weszkalnys Erinnerungen lässt sich nachlesen, dass die Stadt seit 1913 Sitz des XXI. Armeekorps unter General Fritz von Below ist, der das Kommando über 176 Offiziere, 479 Unteroffiziere, 3018 Soldaten und 1796 Pferde hat.

1914 dann bricht der Erste Weltkrieg aus, auch die Saarbrücker sind betroffen. Zeitzeuge Weszkalnys schreibt: "Am Nachmittag des 31. Juli wurde das Eintreten des Kriegszustandes erklärt, und am Morgen des 1. August rückten unsere 7. Dragoner zum Grenzschutz an die französische Grenze ab. Anfänglich herrschte auf den Straßen ernste Stille, dann aber machte sich die Begeisterung Luft. Überall erklang es: Deutschland, Deutschland über alles."

Doch schon bald wird die nationale Euphorie von der Realität eingeholt. Immer mehr Betriebe schließen, Versorgungsengpässe entstehen, es gibt Lebensmittel-Karten. Und der Krieg ist sehr nah: Der Großraum Saarbrücken ist Etappe und Aufmarschgebiet und ein wichtiges Ziel für Luftangriffe. Im August 1915 kommen bei einem Angriff 13 Zivilisten ums Leben. Die Bevölkerung wird aufgefordert, "bei einem Angriff feindlicher Flieger sich nicht auf die Straße zu begeben oder sich an den Haustüren und Fenstern aufzuhalten". Verdun liegt 120 Kilometer von Saarbrücken entfernt. An manchen Tagen ist der Geschützdonner zu hören. Hunderttausende deutscher, französischer und englischer Soldaten verbluten in den Schützengräben. Die Nachrichten, die nach Saarbrücken kommen, sind geschönt, vermischt mit Hurra-Geschrei und patriotischen Parolen. Oder nichts sagend.

Doch im Dezember 1917 geschieht in Saarbrücken etwas Ungeheuerliches: Auf dem Dach des Generalkommandos des XXI. Armeekorps, weht die weiße Fahne der Kapitulation. Gehisst hat sie der zwölf Jahre alte Pennäler Kurt Gerstein. Der gescheiterte Widerstandskämpfer dient später dem Dramatiker Rolf Hochhuth für sein Doku-Drama "Der Stellvertreter" als Vorlage. Während des Nazi-Regimes meldet der Berg-Assessor Kurt Gerstein sich freiwillig zur SS und versucht den Papst sowie westliche Diplomaten und Geheimdienste vergeblich darüber zu informieren, was in den Konzentrationslagern geschieht. Angeblich beging er im Juli 1945 in einem Pariser Gefängnis Selbstmord. Es gibt fundierte Hinweise, dass er von SS-Leuten als Verräter ermordet wurde. Das Hissen der weißen Fahne 1917 wird dem Gymnasiasten damals als Dummerjungenstreich ausgelegt. Sein Vater ist Landgerichtsdirektor in Saabrücken und dient als Chef einer Munitionskolonne an der Westfront. Für den Jungen bleibt die Episode ohne Folgen, während der Krieg seine Spuren hinterlässt.

1918 ist die Bevölkerung kriegsmüde. Die Zahl der Opfer ist schockierend. Wie überall gibt es auch in Saarbrücken Versorgungsengpässe. Brot wird mit Stroh und Sägemehl gestreckt. "Grummbeere" sind Mangelware. Es herrschen Not, Elend und Angst: "Was wird, wenn der Franzmann kommt?"

In Saarbrücken gründet sich wie in vielen anderen Städten auch ein Arbeiter- und Soldatenrat. Am 10. November meldet die Saarbrücker Zeitung: "Der Kaiser hat abgedankt! Ebert neuer Reichskanzler - Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates." Der Text beginnt mit: "Die Stunde der Freiheit hat geschlagen, gesprengt sind die bleiernen Fesseln. Abgewirtschaftet hat das System der Sklaverei (...). Auf den Trümmern der alten Ordnung ist eine neue Welt im Entstehen begriffen." Weiter unten heißt es: "Sorgt dafür, dass Menschenansammlungen unterbleiben (...). Gehe jeder seiner gewohnten Arbeit nach, haltet eure Kinder von den Straßen fern (...). Folgt willig den Anordnungen der Sicherheitsbehörden. Als oberste Ordnungs- und Sicherheitsbehörde gilt der Arbeiter- und Soldatenrat. Die bisherigen Polizeiorgane arbeiten nur in dessen Auftrag." Gleich unter dem Aufruf steht eine Nachricht, die die Realität des Alltags in Saarbrücken beschreibt, nämlich, "wo ein halbes Pfund Nährmittel ausgegeben wird".

Am 22. November 1918 verlassen die letzten deutschen Truppen die Stadt. Französisches Militär rückt ein. Marshall Foch setzt den Arbeiter- und Soldatenrat ab und nimmt die Parade seiner Truppen vor dem Saarbrücker Landgericht ab. "Anfänglich herrschte auf den Straßen eine ernste Stille, dann aber machte sich stellenweise die Begeisterung Luft. "

Der Saarbrücker Hans Weszkalnys in seinen Lebenserinnerungen

 Das Ende des Kaiserreichs beherrscht am 10. November 1918 die Titelseite der Saarbrücker Zeitung. Foto: SZ

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