Mutmaßlicher Anschlag in Südengland Die rätselhafte Vergiftung eines russischen Ex-Spions

London · Ein ehemaliger Doppelagent und seine Tochter liegen in Südengland im Krankenhaus. Hat Moskau einen Anschlag auf sie angeordnet?

 An dieser Stelle in Salisbury wurden der russische Ex-Spion und seine Tochter gefunden.

An dieser Stelle in Salisbury wurden der russische Ex-Spion und seine Tochter gefunden.

Foto: dpa/Steve Parsons

Etwas stimmte nicht, da war sich Freya Church sicher. Es war Sonntagnachmittag, die Britin streifte gerade durch das Shoppingzentrum im südenglischen Salisbury, als sie auf einer Bank vor dem Gebäude einen Mann entdeckte, der „seltsame Handbewegungen“ machte und mit leerem Blick in den Himmel starrte. Dann kollabierte er. Neben ihm lehnte eine Frau an seiner Schulter, wirkte bewusstlos. „Sie sahen aus, als hätten sie etwas sehr Starkes eingenommen“, erinnert sich Church gegenüber Medien.

Mittlerweile vermuten die Behörden, dass die beiden einem Giftanschlag zum Opfer gefallen sind. Und während der 66-jährige Sergei Skripal und seine 33 Jahre alte Tochter Yulia im Krankenhaus noch ums Überleben kämpfen, rätselt ganz Großbritannien über den mysteriösen Fall. Denn: Bei dem Mann handelt es sich um einen ehemaligen Geheimdienstoffizier aus Russland, der als Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU für den britischen Auslandsgeheimdienst spioniert hatte. Angeblich verriet er dem MI6 die Namen von Landsleuten, die in Europa als Spione tätig waren. Nach seiner Enttarnung in Moskau war Skripal im Jahr 2006 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, gehörte jedoch zu vier Russen, die im Rahmen eines Austauschs inhaftierter Agenten zwischen Moskau und Washington aus dem Gefängnis entlassen wurden. 2010 ließ er sich in Großbritannien nieder.

Alles erinnert an den Spionage-Thriller in Echtzeit, der im Jahr 2006 die Welt wochenlang in Atem hielt. Damals wurde der ehemalige russische KGB-Agent und Kreml-Gegner Alexander Litwinenko mitten am Tag in einem Londoner Luxushotel mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet und starb, abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen, kurze Zeit später. Hat es das Königreich nun erneut mit einem Mordanschlag zu tun, der wegen seiner möglichen Verstrickungen in Geheimdienstkreise an James-Bond-Filme erinnert?

Die Polizei geht davon aus, dass Sergej und Yulia Skripal in Kontakt mit einer „unbekannten Substanz“ gekommen sind. Wurden die beiden vergiftet? Hat Moskau etwas mit der mysteriösen Erkrankung zu tun? Das Verhältnis zwischen Russland und dem Königreich ist seit Jahren angespannt. Es droht sich nun weiter zu verschlechtern. Der britische Außenminister etwa wählte gestern bei einer dringlichen Fragestunde im Parlament ungewöhnlich scharfe Worte und kündigte eine „robuste Reaktion“ an, sollte sich der Verdacht auf eine Rolle Moskaus erhärten. „Ich sage zu Regierungen in der ganzen Welt, dass kein Versuch, auf britischem Boden unschuldiges Leben zu nehmen, ohne Sanktionen oder ungestraft bleiben wird“, so Boris Johnson. Beweise aber gibt es derzeit nicht. Vielmehr offerierte Moskau Unterstützung bei den Ermittlungen. Ein Kremlsprecher sagte, sein Land werde zum Opfer von Verschwörungstheorien.

Auch der Chef der britischen Polizei-Spezialkräfte, Mark Rowley, warnte vor voreiligen Schlüssen, räumte aber ein, dass der Tod von Litwinenko gezeigt habe, dass Wachsamkeit bei Todesfällen mit Russland-Bezug geboten sei. Mittlerweile führt die Anti-Terroreinheit der Polizei die Untersuchung.

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