Die Perspektive heißt jetzt Abzug

Berlin. Das Bundeskabinett hat gestern die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes um ein weiteres Jahr auf den Weg gebracht. Erstmals wird in dem Antrag an den Bundestag ein möglicher Rückzug von Truppen ab Ende 2011 erwähnt, allerdings unter Vorbehalten. Die gegenwärtige Größe des Kontingents, 5000 Soldaten plus 350 als "flexible Reserve", wird beibehalten

Berlin. Das Bundeskabinett hat gestern die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes um ein weiteres Jahr auf den Weg gebracht. Erstmals wird in dem Antrag an den Bundestag ein möglicher Rückzug von Truppen ab Ende 2011 erwähnt, allerdings unter Vorbehalten. Die gegenwärtige Größe des Kontingents, 5000 Soldaten plus 350 als "flexible Reserve", wird beibehalten. Die SPD hat bereits Zustimmung signalisiert.

Dem Beschluss war eine Auseinandersetzung zwischen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, Foto: dpa) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP, Foto: dpa) vorausgegangen. Westerwelle hatte den Abzugsbeginn noch in diesem Jahr gefordert, Guttenberg davor gewarnt. Auch die SPD hatte ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, dass 2011 die ersten Kräfte "irreversibel" wieder nach Hause geholt werden.

Jetzt heißt es in dem Beschluss, Leitmotiv des internationalen Einsatzes sei die "Übergabe der Verantwortung" an die afghanischen Sicherheitskräfte. Mit derzeit 150 000 Soldaten und 113 000 Polizisten sei deren Aufbau im Zeitplan. Zudem setze man auf eine "politische Lösung", also Verhandlungen mit den Taliban. Dann folgt der Schlüsselsatz des Kabinettsbeschlusses: "Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können und wird dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden."

Das ist die etwas komplizierte Kompromissformel, die Guttenberg und Westerwelle am Wochenende gefunden hatten. Wie sensibel sie offenbar ist, zeigt sich daran, dass sie wörtlich auch im "Sprechzettel des Regierungssprechers" für die gestrige Pressekonferenz stand. Auch benutzten Westerwelle und Guttenberg sie Anfang der Woche in einem Schreiben an die Fraktionen im Bundestag. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte nach Eingang dieses Briefes erklärt, dass seine Partei einer Verlängerung nun zustimmen könne. Auch gestern nach dem Kabinettsbeschluss spürte man zwischen den Ministern noch Unterschiede.

In dem Kabinettsbeschluss werden noch weitere Einschränkungen vorgenommen. So heißt es, die "Übergabe-Dividende" solle zunächst in solche Gebiete "reinvestiert" werden, die noch nicht übergabereif seien. Im Klartext: Wenn die ANA, die afghanische nationale Armee, irgendwo in ein sicheres Gebiet einrückt, ziehen die Bundeswehrsoldaten in ein anderes, noch unsicheres Gebiet weiter. Unklar ist daher, ob schon in diesem Jahr tatsächlich nennenswerte Einheiten nach Deutschland zurückkehren. Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff sprach auf Anfrage nur davon, dass er dies hoffe. Aber die "verantwortbare Übergabe" an die Afghanen habe "Vorrang vor angestrebten Zeitplänen". Mit der Nennung eines Abzugsdatums wolle man "Druck machen, dass alle Seiten, insbesondere die afghanische, ihre Anstrengungen verstärken". SPD-Chefaußenpolitiker Rainer Arnold sagte, er rechne damit, dass die Region Feisabad zu den ersten rein afghanisch kontrollierten Gebieten gehöre.

Am übernächsten Freitag wird die Mandatsverlängerung erstmals im Bundestag beraten; am 28. Januar soll über sie abgestimmt werden.

Meinung

Afghanische Beruhigungspille

Von SZ-Korrespondent

Werner Kolhoff

Eine Kompromissformel hätten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Außenminister Guido Westerwelle zu der Frage gefunden, wann der Abzug aus Afghanistan beginnen soll. So wurde am Wochenende stolz gemeldet. Man sei "zuversichtlich", die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können, lautet der Satz, der nicht nur den Streit der beiden Minister schlichtete, sondern auch das erneute Ja der SPD zur Verlängerung der Mission sicherte. Selten war das Wort Formelkompromiss angebrachter.

Wer aber den Text des neuen Mandats genau liest, all die Wenns und Abers, die erfüllt sein müssen, erkennt unschwer, dass es sich allenfalls um den symbolischen Beginn eines symbolischen Rückzugs handelt. Noch mindestens vier weitere Jahre werden deutsche Soldaten am Hindukusch sein, und zwar im Kampfeinsatz.

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