Die neue Symbolfigur der Gotteskrieger

Mossul · Mit erhobenem Zeigefinger fordert Abu Bakr al-Bagdadi den „Gehorsam“ aller Muslime und ruft sie zum „Heiligen Krieg“ auf. Der Auftritt des Isis-Chefs in einem Internet-Video ist auch ein Zeichen dafür, wie sicher er sich inzwischen fühlt.

Der Mann war ein Mysterium. Lange Zeit existierten von Isis-Chef Abu Bakr al-Bagdadi nur wenige Fotos. Die unscharfen Bilder zeigen ein aufgedunsenes Gesicht mit kräftigen Augenbrauen und grimmigen Augen, der Kopf rasiert. Nicht einmal vor seinen eigenen Kämpfern soll sich al-Bagdadi gezeigt haben, weshalb er der "unsichtbare Scheich" genannt wurde. Es gab so wenige Lebenszeichen, dass sogar die Frage auftauchte: Gibt es die Person überhaupt? Die Antwort dürfte nun klar sein: Abu Bakr al-Bagdadi existiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.

Am Samstagabend tauchte im Internet überraschend ein 21 Minuten langes Video auf - der Film zeigt den Isis-Chef bei einer Freitagspredigt in der nordirakischen Stadt Mossul, die die sunnitischen Extremisten seit Mitte Juni kontrollieren. Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass sich der Terrorfürst zu Wort meldete. Erst am vergangenen Mittwoch hatte Isis über Twitter eine Audiobotschaft von ihm verbreitet.

Auch diesmal inszeniert Isis den Auftritt geradezu perfekt. Es sind nicht etwa verwackelte Handy-Aufnahmen - sondern gut ausgeleuchtete Bilder, mit mehreren Kameras aufgenommen. Zu sehen ist ein Mann mit langem Bart, der ganz in Schwarz gekleidet von der Kanzel aus mit ruhiger Stimme spricht. Immer wieder hebt "Kalif Ibrahim", wie er sich jetzt nennt, den rechten Zeigefinger - zur Mahnung an die Gläubigen. Er fordert den "Gehorsam" aller Muslime und ruft sie zum "Heiligen Krieg" auf.

Obwohl er Bewacher bei sich hat, sind Auftritt und Video ein Beleg dafür, wie sicher sich al-Bagdadi fühlen muss. In dem "Islamischen Kalifat", das Isis im Irak und in Syrien ausgerufen hat, scheint er seine Position so gefestigt zu sehen, dass er weder seine Ermordung noch seine Verhaftung fürchtet. Stattdessen liefert er allen Geheimdiensten der Welt gestochen scharfe Fahndungsfotos, obwohl in den USA zehn Millionen US-Dollar (sieben Millionen Euro) Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt sind.

Mit den Aufnahmen haben die Isis-Dschihadisten weltweit eine neue Symbolfigur für ihren Kampf gegen die "Ungläubigen" geschaffen. Bisher war noch immer Osama bin Laden, das frühere Oberhaupt von Al Qaida, diese Person. Doch mit dem Video könnte Isis dem Terrornetzwerk in der internationalen Dschihadistenszene weiter den Rang ablaufen. Schon im Frühjahr war es zum Bruch gekommen, weil al-Bagdadi allzu massiv seine Macht auch auf Syrien ausdehnen wollte.

In den Augen der Dschihadisten ist Al Qaida die Organisation, die mit mehreren Anschlägen den verhassten Westen getroffen hat. Sollte Isis eine ähnliche Attacke gelingen, hätte die Terrorgruppe im Irak und in Syrien Al Qaida wohl endgültig abgelöst. In dem "Islamischen Kalifat" besitzen die Isis-Kämpfer nicht nur riesige Rückzugsräume, sondern auch immense Geldquellen dank der Kontrolle über Ölfelder. Terrorexperten fürchten, das Al Qaida kaum zusehen wird, wie diese noch radikalere Organisation eine junge Generation von Extremisten anzieht und die langjährige Speerspitze des Dschihad zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Der Konflikt könnte eskalieren.

Zum Thema:

HintergrundDie sunnitische Terrorgruppe Isis geht weiter rücksichtslos gegen Andersgläubige vor. Die Extremisten entführten gestern zwei Priester und eine Nonne aus einer Kirche bei Mossul, berichteten Augenzeugen. Zuvor hatten sie Moscheen und Grabmäler von Schiiten zerstört. In einem mehrheitlich von Kurden bewohnten Ort richteten sie zehn Autoritäten hin. dpa

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