Die neue Sorglosigkeit

Frankfurt. Wer schon immer am Klimawandel gezweifelt hat, fühlt sich bestätigt: eiskalter Winter, fehlerhafte Prognosen des Weltklimarats - deutet nicht manches darauf hin, dass die Warnungen vor dem nahenden Klima-Kollaps übertrieben sind? Tatsächlich schwindet die Angst vor der weltweiten Erwärmung, wie eine neue "Spiegel"-Umfrage zeigt

Frankfurt. Wer schon immer am Klimawandel gezweifelt hat, fühlt sich bestätigt: eiskalter Winter, fehlerhafte Prognosen des Weltklimarats - deutet nicht manches darauf hin, dass die Warnungen vor dem nahenden Klima-Kollaps übertrieben sind? Tatsächlich schwindet die Angst vor der weltweiten Erwärmung, wie eine neue "Spiegel"-Umfrage zeigt. Demnach fürchten sich nur noch 42 Prozent der Deutschen vor dem Klimawandel, 2006 waren es noch 62 Prozent. Dass in diesem Jahr weltweit der wärmste Januar seit mehr als 30 Jahren verzeichnet wurde, ist offenbar nur wenigen bewusst. Für Experten kommt die neue Sorglosigkeit nicht überraschend. "Das Grundproblem ist: Der Klimawandel lässt sich - anders als das Wetter - nicht sinnlich wahrnehmen", erläutert der Umweltpsychologe Immo Fritsche von der Universität Jena. "Der menschliche Informationsapparat setzt aber vor allem auf die Sinne." Von einem kalten Winter bleibe deshalb "immer etwas hängen, eine Assoziation", auch wenn der Klimawandel wissenschaftlich gut belegt sei. "Die Leugner des Klimawandels nutzen diese Unsicherheit, um ihre Thesen zu stützen", sagt der Wissenschaftler. In einem Experiment hat Fritsche herausgefunden: Wer die Erderwärmung anzweifelt, scheut vor allem die Mühen des Klimaschutzes und eine tiefgreifende Veränderung seines Lebensstils. In Fragebögen konfrontierte er zwei Gruppen von Studenten mit unterschiedlichen Szenarien, wie sie ihr Leben angesichts der Erderwärmung zu ändern hätten. Anschließend wurden sie nach ihren Einstellungen zum Klimawandel befragt. Ergebnis: Wem erklärt wird, er müsse künftig zum Beispiel aufs eigene Auto verzichten, der zweifelt eher an der Erderwärmung als jemand, der nur häufiger mit Bus und Bahn fahren soll. Die meisten Menschen wollen also ihren Lebensstandard halten. Deshalb bremst auch die derzeitige Wirtschaftskrise den Klimaschutz-Eifer. "Das dominante Thema ist die ökonomische Lage", sagt der Umweltpsychologe Florian Kaiser von der Universität Magdeburg. Die Sorge um das Weltklima trete in der Folge in den Hintergrund. "Die Bevölkerung will zunächst Brot auf dem Teller, bevor sie sich mit Klimaschutz beschäftigt." Eine weitere Motivationsbremse: Das Scheitern des Weltklimagipfels im vergangenen Dezember in Kopenhagen. "Die Leute sehen den Misserfolg der Konferenz als Signal für sich selbst", sagt Kaiser: "Wenn die internationale Klimapolitik sich nicht einigen kann, dann heißt das für viele, es besteht kein Handlungsbedarf." Sein Kollege Fritsche formuliert es so: "Wenn der Eindruck entsteht, dass die Menschen in China ihr Verhalten nicht ändern müssen, wird auch bei uns das Engagement für Klimaschutz gebremst." Auch apokalyptische Visionen vom Klimakollaps erhöhen nach Erkenntnissen der Experten nicht die Motivation, sich fürs Klima zu engagieren. Einige Schreckensbilder haben sich inzwischen ohnehin als Irrtum erwiesen. Dazu zählen falsche Prognosen des Weltklimarates, der unter anderem die Gefahr von Dürren in Afrika offenkundig übertrieben hat. An den Grundaussagen zum Klimawandel ändere das nichts, beteuern die Klimaforscher. Doch mit der Pannenserie der Forschung ist es so wie mit dem strengen Winter, sagen die Umweltpsychologen: Ein Zweifel wird hängen bleiben. "Die Bevölkerung will zunächst Brot aufdem Teller."Umweltpsychologe Florian Kaiser

HintergrundLicht aus für den Klimawandel: Rund um den Erdball gingen am Samstag jeweils um Punkt 20.30 Uhr Ortszeit an weltbekannten Bauwerken in den Metropolen für eine Stunde die Lichter aus. An der "Earth Hour" haben sich nach Angaben der Umweltstiftung WWF mehr als 120 Länder und über 4300 Städte beteiligt. In Berlin knipsten Umweltsenatorin Katrin Lompscher und Christine Kolmar vom WWF die Beleuchtung des Brandenburger Tors aus, auch das Rote Rathaus versank im Dunkeln. "Wir wollen ein Signal für den Klimaschutz setzen und zeigen, dass jeder einzelne etwas tun kann", sagte Kolmar.dpa

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