Die neue Angst um das private Glück

Niederbexbach/Gersheim. Eigentlich könnte alles ganz schön sein. Karsten Schmidt hat jetzt mehr Freizeit, kann sich dem Umbau des Hauses widmen, es gibt viel zu tun. Morgens bringt er Leon und Lea, acht und fünf Jahre, zur Schule und in den Kindergarten, dann geht es auf die Baustelle. Wenn es wärmer wird an der Blies, wird er wieder Angeln gehen

 Karsten Schmidt hofft, dass er seinen Kindern Leon und Lea eine gesicherte Zukunft bieten kann. Fotos: Iris Maurer

Karsten Schmidt hofft, dass er seinen Kindern Leon und Lea eine gesicherte Zukunft bieten kann. Fotos: Iris Maurer

Niederbexbach/Gersheim. Eigentlich könnte alles ganz schön sein. Karsten Schmidt hat jetzt mehr Freizeit, kann sich dem Umbau des Hauses widmen, es gibt viel zu tun. Morgens bringt er Leon und Lea, acht und fünf Jahre, zur Schule und in den Kindergarten, dann geht es auf die Baustelle. Wenn es wärmer wird an der Blies, wird er wieder Angeln gehen. Es ist nicht so sehr das Jetzt, was ihn bedrückt. Es ist das, was werden wird. Denn bei Schaeffler in Homburg ist Kurzarbeit angesagt. Schmidt ist seit Mitte Januar dabei, zunächst wurden in seiner Abteilung drei Tage weniger im Monat gearbeitet - im Februar waren es sieben und für März sind zehn geplant.

Das bedeutet für den 34-Jährigen rund 500 Euro weniger im Monat - netto. Für den Familienvater viel Geld. Die Kinder sollen es gut haben. Dafür sparen die Eltern lieber mit neuer Kleidung und Schuhen für sich selbst. Man geht nicht mehr ins Restaurant. Und der Sommerurlaub ist vorerst auf Eis gelegt. "Eigentlich wollten wir uns einen Wohnwagen kaufen, das fällt erstmal flach."

Der gelernte Industriemechaniker ist seit elf Jahren bei der Schaeffler-Firma INA in Homburg und dort Vertrauensmann der IG Metall. Als die Firma dringend Leute suchte, ist er 1997 dazu gestoßen, ohne offizielle Bewerbung, über einen bekannten Kollegen. Nach der Milliardenübernahme von Conti hat der größte Zulieferer der deutschen Autoindustrie für drei Viertel seiner Belegschaft Kurzarbeit beantragt - vorerst bis Ende Juni. Ob Karsten glaubt, dass sie ausgeweitet wird auf bis zu 18 Monate? "Das hält keine Firma durch so lange", meint er. Was in so einem Fall auf die junge Familie zukäme, darüber denken Karsten und seine Frau Nicole immer häufiger nach, obwohl sie optimistisch sein wollen: "Wenn ich - wider Erwarten - meine Arbeit verliere, dann werden wir das Haus nicht halten können."

Schmidts haben sich viel vorgenommen. Im Januar haben sie ein Haus gekauft. Die Gelegenheit war günstig, die Kinder werden größer, und in der Wohnung fehlt der Platz. Für den Kauf haben sie sich verschuldet. Im Februar war das neue Haus noch im Rohbau. Karsten Schmidt klotzt richtig ran: "Bis auf Sanitäranlage und Heizung mache ich alles selbst." Es wirkt so, als wollte sich die Familie von der Wirtschafts- und Schaefflers Schuldenkrise partout nicht schrecken lassen. "Wenn alles klappt nach unserem Zeitplan, wollen wir zu Ostern einziehen", sagt Nicole Schmidt.

Ein "echter Malzochs" sei sie, in Niederbexbach geboren, wo einst auf den Feldern die Gerste wuchs. Auf den Spitznamen sei sie stolz, sagte sie und lacht. Hier hat sich die Familie niedergelassen, mit dem Eigenheim wollen sie fürs Alter vorsorgen. Doch es gibt auch noch den Moment, der gelebt werden will. Der plötzliche Tod ihres Vaters, erzählt Nicole Schmidt, habe ihre Einstellung zum Leben verändert: "Früher hab ich immer gedacht, du musst sparen, du weißt nicht, was noch kommt. Jetzt denke ich: dein Leben kann so schnell vorbei sein, eigentlich muss man das mitnehmen, was man mitnehmen kann." Letztes Jahr sind sie öfter mal spontan mit den Kindern essen gegangen oder mal kurzfristig nach Paris ins Disneyland gefahren. Die Schmidts sind nämlich Mickymaus-Fans. "Das fällt jetzt erstmal aus", sagt Karsten Schmidt. "500 Euro muss man auch irgendwo sparen. Die hatten wir ja nicht jeden Monat übrig."

Gut 30 Kilometer flußabwärts der Blies in Gersheim sitzt Mario Fontana am Wohnzimmertisch. Mit drei Worten beschreibt er seine Situation: "Kurzarbeit ist Teilarbeitslosigkeit!" Seit über 20 Jahren montiert und prüft der 44-jährige Vater von zwei Söhnen in Homburg Komponenten für die Autoindustrie. Sein Arbeitsrhythmus teilte sich wie der von Karsten Schmidt in drei Perioden: Frühschicht von sechs bis 14 Uhr, Mittagsschicht von 14 bis 22 Uhr und Nachtschicht von 22 Uhr bis um sechs. Jede Woche im Wechsel. Welche Schicht er am liebsten mache? "Die Freischicht", scherzt er und für einen Augenblick ist die Wirtschaftskrise weg. Doch er wäre derzeit heilfroh über jeden Auftrag für seinen Arbeitgeber, die Robert Bosch GmbH, der ihn zu seiner Arbeit zurückkehren ließe. Doch jetzt wird die Kurzarbeit erstmal mehr. Fontana rechnet dadurch im Monat mit 300 bis 400 Euro weniger.

Seine Rücklagen sind bei der Renovierung der Küche draufgegangen, sagte er. Alle weiteren Arbeiten am Haus müssten vorerst warten. "Ich werde sowieso häufig gefragt, wie ich das mache, als Alleinverdiener mit meiner Frau, dem Haus und zwei Kindern. Das wird jetzt alles schwieriger." Fontanas Söhne sind 14 und 18 Jahre alt, der Älteste macht eine Ausbildung.

Was Fontana im Augenblick sehr umtreibt, ist die Politik. Er kandidiert bei den Gemeinderatswahlen im Juni für die Linke. Um Energie und Kosten zu sparen, hat er gerade von einer Öl- auf Holzheizung umgestellt. Das wird gerade jetzt für ihn wichtig, in der Kurzarbeit. "Ich suche noch nach einem günstigen Stromanbieter, ansonsten weiß ich nicht mehr, wo ich noch sparen könnte."

Es wird noch viel Wasser die Blies hinunterfließen, glaubt Mario Fontana, bis es bei den Autozulieferern im Saarland wieder aufwärts geht. Als Betriebsratsmitglied und IG-Metall-Vertrauensmann bekommt er auch die Sorgen der Kollegen mit: "Wir sind eine große Firma, man redet zwangsläufig häufig darüber. Die Leute haben Angst vorm Arbeitsplatzverlust und vorm sozialen Abstieg, das geht ja schnell heutzutage." Einige machten schon Pläne für den Fall der Entlassung.

Das Schlimmste sei die Ungewissheit, was wird nach dem 30. Juni? So lange ist zunächst auch bei Bosch in Homburg Kurzarbeit vorgesehen.

Fontana glaubt nicht, dass im Sommer alles vorbei ist: "Wir werden da lang dran zu lecken haben. Das wird nicht von heute auf morgen wieder gut sein." Hat die Autoindustrie die Entwicklung verschlafen? "Ich denke, es wird höchste Zeit für Alternativen in der Automobilbranche. Also weg vom klassischen Verbrennungsmotor hin zu alternativen Antrieben, weil das die Zukunft sein wird." Haben das die Autokonzerne noch nicht verstanden? "Ich denke schon. Aber so lange der Euro rollt, wieso soll man da etwas anders machen?"

Karsten Schmidt hat in Niederbexbach schon einige dichtmachen sehen: Den kleinen Lebensmittelladen, sogar die Grundschule. Zuletzt hat das Autohaus geschlossen. Die Familie plant dennoch ihr persönliches Glück. Die Mickymaus soll jetzt bald zu ihnen kommen - als Bemalung für das Garagentor. Vielleicht wird es dann auch wieder freundlicher in der Autoindustrie. Die Zulieferer jedenfalls werden das als Erste spüren.

Hintergrund

Im Januar und Februar haben insgesamt 443 saarländische Betriebe für rund 36 500 Arbeitnehmer Kurzarbeit beantragt - das entspricht einem Anteil von 9,3 Prozent an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In keinem anderen Bundesland ist der Anteil so hoch wie im Saarland, unter anderem liegt das an der starken Bedeutung der Auto- und Zulieferindustrie hierzulande.

 Mario Fontana hat momentan viel Zeit für seinen Garten.

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 Mario Fontana hat momentan viel Zeit für seinen Garten.

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Das Kurzarbeitergeld wird vom Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit für die Beschäftigten beantragt. Für die Ausfallzeiten durch die Kurzarbeit erhalten Verheiratete 67 Prozent ihres Nettolohns, Alleinstehende 60 Prozent. Das Kurzarbeitergeld kann für maximal 18 Monate beantragt werden. de

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