Bundestagswahlkampf Die netten Minister von nebenan

Saarlouis · Das gibt’s nur im Saarland: Im Wahlkreis Saarlouis treten zwei Bundesminister gegeneinander an, Peter Altmaier (CDU) und Heiko Maas (SPD).

Die saarländische Seele streicheln: Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) tut dies unter anderem hier beim Pfarrfest der Gemeinde „Heilige Dreifaltigkeit“ in Saarlouis-Fraulautern, wo er Besuchern die Hände schüttelt.

Die saarländische Seele streicheln: Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) tut dies unter anderem hier beim Pfarrfest der Gemeinde „Heilige Dreifaltigkeit“ in Saarlouis-Fraulautern, wo er Besuchern die Hände schüttelt.

Foto: Rich Serra

Es ist schon ein Kreuz mit dem Wahlkreuz, wenn’s der eine kann und der andere auch: Karriere machen in Berlin und für die eigenen Leute im Saarland tüchtig was rausholen. Was tun, wenn zwei dieses Top-Kalibers als unmittelbare Kontrahenten zur Wahl stehen? Im Wahlkreis 297 (Saarlouis/Merzig-Wadern) ist das so, eine bundesweit einmalige Sache: Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) versus Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Beide haben in der Saarlouiser Gegend ihre Kindheitswurzeln: Altmaier in Ensdorf, Heiko Maas in Elm. Da kann man wohl nur mit Zusatz-Sympathiepunkten gewinnen.

Den Braten haben die beiden Berliner Großkoalitionäre und Kabinettskollegen offensichtlich gerochen. „Für böse Auseinandersetzungen sind wir beide nicht geschaffen“, verkündet Peter Altmaier (CDU) beim „Saartalk“. Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes wirkt mehrfach so, als wolle er den Kollegen ans Herz drücken. Maas wiederum ziert sich, schält immer wieder die feinen und die riesigen Unterschiede in den Partei-Positionen heraus, etwa zur Maut. Die Wahlkampf-Strategie der CDU sei, dass gar kein Wahlkampf stattfinde, erklärt er der SZ. Und: „Ich bin nun mal kein Schreihals.“

Wer einen Ringkampf zweier wilder Männer aus Berlin sehen will, ist im Saarland falsch. Hier läuft der Film: Wir sind die lieben Jungs vom Bierstand nebenan. Maas und Altmaier tun das, was sie seit Jahren tun: Die saarländische Seele streicheln. Aber wer kann’s besser? Die SZ macht eine Stimmungsabfrage freitags auf dem Großen Markt in Saarlouis. Beide seien gleichermaßen präsent und wählbar, hört man. Es sei egal, wie oft sie jetzt im Wahlkreis auftauchten, beim Feuerwehrfest in Bous oder bei der Hülzweiler Kirmes. „Ich hann’ mich schon entschied“, heißt es allüberall. Der spontane Wähler der Demoskopen, er ist offensichtlich ein Phantom im Wahlkreis 297. Dabei verliert Altmaier doch seine Poleposition als alleiniger starker Mann für Saar­louis in Berlin. Das brachte ihm 2013, als er Bundesumweltminister war, in seinem Heimatkreis fast sieben Prozentpunkte mehr ein, als die CDU insgesamt im Saarland holte. Laut Wahlexperten schlägt ein Kandidatenbonus durchschnittlich mit nur zwei Prozentpunkten zu Buche. Und obwohl auch Reinhold Jost für die SPD vier Prozentpunkte mehr holte, als seine Partei saarlandweit einfuhr, hatte ihn Altmaier um etwa zehn Prozentpunkte abgehängt. Kommt man Maas mit solchen Zahlen, zieht sich die gesamte Gestik und Mimik zu einem energischen Strich zusammen. So wie früher, als er noch nicht der fleißigste und populärste Justizminister der Republik, noch nicht als Merkels modischster Minister Talkshow-Dauergast war. Im Saarland galt Maas nach drei verlorenen Wahlen als „ewiger Verlierer“. Erst in Berlin entwickelte sich Maas, der an einem typischen Wahlkampf-Samstag an einem Bierzelt-Tisch in Düppenweiler sitzt, beim „Lyonerfeschd“ der SPD: ein bestgelaunter, entspannter, souveräner Typ. Er hat sich zu den Leuten aus dem Altenheim „Blandine“ gesetzt. Die Demenzbetreuerin Patricia Glieden konfrontiert ihn sofort mit ihrer Wut über schlechter bezahlte Frauenjobs und damit, dass sie, dank Hartz IV, beinahe „unter die Brücke“ gegangen wäre. Maas wird nicht politisch gefordert, sondern menschlich.

Auch sein Konkurrent Altmaier hat am Abend zuvor, beim Pfarrfest der Gemeinde „Heilige Dreifaltigkeit“ in Fraulautern, keine einzige politische Frage beantwortet. Sondern mit einem Werner Altmaier die Ahnenreihe der Familie so lange buchstabiert, bis sich endlich eine Verwandschaft herleiten ließ. Er hat über „em Toni sein Frau und sein Kinner“ gesprochen, Erinnerungen an Briefträger und Fußwege und unaussprechliche Straßennamen hervorge­kramt. Die Menschen kennen ihn, suchen ihn, kommen an seinen Tisch. Vor Altmaier steht ein Teller mit Salat. Über 20 Kilo hat er runter, ohne Diät, nur dank Gartenarbeit in seinem Haus in Rehlingen. Das Gewicht sei ein „Staatsgeheimnis“, meint er. Merkels großer Kommunikator gibt Journalisten Privates nur ungern preis, bei Bürgern vermittelt er just den gegenteiligen Eindruck. Beim Saar-Pfalz-Cup in Rissenthal berichtet er über den Sturz seiner 88-jährigen Mutter oder die Beinamputation seines früh verstorbenen Vaters und erzählt, dass er sich fast ein Haus gegenüber der Grundschule in Ensdorf gekauft hätte. Alle verblüfft er mit einer phänomenalen Ortskenntnis. Es mag nicht originell sein, das typisch saarländische Kommunikationsmuster „Ich kenn do eener, der eener kennt“, aber es funktioniert nun mal als Eisbrecher.

So etwas braucht Maas zumindest in Beckingen nicht. Gefühlte 14 999 Einwohner des 15 000-Einwohner-Ortes müssen SPD-Sympathisanten sein. Vor dem Rewe-Markt verschenkt der Bundesminister „Maas-Bänder“ und Mini-Marmeladendosen. „Mir hallen Ihnen die Daumen!“, hört er x-mal. Bürgermeister Thomas Collmann (SPD) kennt alle mit Namen: „Frau Köhnen, darf ich Ihnen mol de Heiko Maas vorstelle?“ Die 80-Jährige erzählt dem Minister von ihrer Bastelgruppe, andere vom Erntedankzelt beim „Bauer Ehl“. Maas reagiert interessiert und amüsiert. Er gibt Anek­doten zum Besten, macht in Humor. „Ich lege mich jetzt mal auf die Frau Wagenknecht“, sagt er und packt seine Geschenke auf die Prospekte der „Linken“, die zwei Meter weiter ihren Stand haben. Lachen, Flachsen, gelöste Stimmung. Bierernst war gestern – Berlin muss diesem Mann so was von gut tun. Als SPD-Spitzenkandidat trug Maas im Saarland schwer an seinem Image, abgehoben und distanziert zu sein. Reicht die Zeit, um den neuen Maas zu vermitteln? Und wie viel Bodenständigkeit billigt man einem Bewerber zu, der seinen Lebensmittelpunkt langfristig nach Berlin verlegt hat und der mit seiner neuen Partnerin, der Schauspielerin Natalia Wörner, über rote Teppiche schreitet? Außerdem hat Altmaier den Wahlkreis bereits zweimal gewonnen, 2009 und 2013.

Doch für den Triathleten, den Sportler Maas, ist sein Antreten mehr als eine „Prestigesache“ – so wird das Ganze in Berlin betrachtet. Nein, sagt Maas: „Alles andere hätte ich nicht für authentisch gehalten“, etwa in einem Berliner Wahlkreis zu kandidieren. Rennt Maas ausgerechnet in seiner Heimat in eine Niederlage? Darauf reagiert er empfindlich: „Den Trend kann man durch Präsenz nicht umdrehen. Aber schauen wir mal, wohin das führt.“ Maas ist zudem überzeugt, dass die Wähler diesen Zweikampf weit weniger spektakulär finden als die Medien. Dass er und Altmaier sich duzten und schätzten, sei bekannt, auch dass sie für das Saarland grundsätzlich an einem Strang zögen wie beim Länderfinanzausgleich. „Die Leute haben sehr individuelle, sehr konkrete Sorgen“ jenseits aller Wahlprogramme. Sie wollten einfach nur mal darüber reden. Ob mit ihm oder mit Altmaier, egal?

 Bierernst war gestern: Heiko Maas (SPD) sorgt in seinem Wahlkampf für gelöste Stimmung – hier plaudert er mit Menschen vor einem Lebensmittelmarkt in Beckingen.

Bierernst war gestern: Heiko Maas (SPD) sorgt in seinem Wahlkampf für gelöste Stimmung – hier plaudert er mit Menschen vor einem Lebensmittelmarkt in Beckingen.

Foto: Rich Serra
Heiko Maas 1999 in der SZ-Redaktion in Saarbrücken, damals noch als saarländischer Minister für Umwelt, Energie und Verkehr. :

Heiko Maas 1999 in der SZ-Redaktion in Saarbrücken, damals noch als saarländischer Minister für Umwelt, Energie und Verkehr. :

Foto: barbian,uli

Deshalb hat wohl der, der als Erster auf dem Platz steht, die Nase vorn. Das Maas-Umfeld spricht von einem „Präsenzwahlkampf“: Es gehe darum, zu vermitteln: „Hallo, ich bin einer von euch. Ich will einfach mal da sein.“ Und deshalb ist der Bundesjustizminister auch nur von Montag bis Mittwoch auf SPD-Bundeswahlkampftour und im Kabinett, danach in eigener Sache im Saarland. Bis zu zwölf Termine reißt Maas jedes Wochenende ab. Bei Altmaier spürt man darüber eine gewisse Beunruhigung. Als Chefkoordinator der Koalition könne er sich weniger von Terminen befreien als ein Ressortminister, sagt er. Doch den Wahlkreis zu halten, das sei aus ganz persönlichen Gründen „sehr, sehr wichtig“. In seiner Zeit als EU-Beamter in Brüssel, vor allem aber als Umweltminister, habe er gespürt, wie viel Kraft er aus Terminen im Wahlkreis mitnehme zurück in seine Ämter. „Ich habe erfahren, dass die Menschen mir treu geblieben sind, auch wenn ich weniger oft hier sein konnte.“ Auf diese Verbundenheit setzt Altmaier auch jetzt. Und dann spekuliert er kurz, dass es womöglich so ausgehe, dass er und Maas sich den Amtsbonus teilen müssten. Brüderlichkeit statt Wahlkampf, das gibt’s wohl nur im Saarland.

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