Die Nato prüft den Bündnisfall

Brüssel. So viel Lob hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan lange nicht von den Europäern zu hören bekommen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle lobte gestern den "besonnenen Kurs", den die Regierung der Türkei seit dem Abschuss ihres Militärjets durch die syrische Luftabwehr fahre

Brüssel. So viel Lob hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan lange nicht von den Europäern zu hören bekommen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle lobte gestern den "besonnenen Kurs", den die Regierung der Türkei seit dem Abschuss ihres Militärjets durch die syrische Luftabwehr fahre. Westerwelles britischer Kollege William Hague nannte die Reaktion aus Ankara sogar "beachtlich". Einen Tag vor der Dringlichkeitssitzung des Nato-Rates in Brüssel bemühten sich die Außenminister der EU gestern in Luxemburg um "Deeskalation" (Westerwelle). "Ein militärisches Eingreifen steht außer Frage", sagte der niederländische Außenamtschef Uri Rosenthal. Und auch William Hague, der die humanitäre Katastrophe in Syrien schon einmal mit dem Genozid in Bosnien verglichen hatte, mühte sich auffallend, nicht als Kriegstreiber zu erscheinen. "Es geht hier nicht um eine neue Phase in der Syrien-Krise. Aber wir können den Vorfall nicht hinnehmen."Die EU setzte gestern eine weitere Person aus dem Außenministerium in Damaskus sowie vier Unternehmen aus dem Telekommunikationsbereich auf ihre schwarze Liste. Insgesamt wurden in bisher 16 Sanktionsrunden 120 Personen mit einem Einreiseverbot in die europäische Gemeinschaft belegt. Geschäfte mit rund 50 Firmen und Institutionen sind untersagt. Aber dieser Schritt war bereits vor dem Zwischenfall mit dem türkischen Jet vom Typ "Phantom F-4" geplant.

In Brüssel rätselte man gestern, welche Absicht die Türkei mit dem Nato-Treffen am heutigen Dienstag verfolgt. Die Aufforderung zu einer Sitzung der Botschafter aller 28 Staaten der Allianz bedeutet den Eintritt in die Prozedur, die mit dem Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages enden könnten. In diesem Fall würden sich alle Staaten zum Beistand verpflichten. Ob das auch Waffengewalt einschließt, darüber kann jede Regierung selbst entscheiden. Offiziell hieß es aus Nato-Kreisen gestern jedoch nur, dass der Vertreter Ankaras "Informationen über den Vorfall präsentieren" wird.

Inzwischen steht nämlich fest, dass der Abschuss des Jagdbombers nicht der einzige aggressive Akt war. Als kurz darauf ein Suchflugzeug der türkischen Luftwaffe nach dem vermissten Jet und den beiden Piloten suchte, wurde er ebenfalls von syrischem Radar erfasst und musste abdrehen. Im militärischen Hauptquartier des Bündnisses gibt man sich "empört". Vor allem die amerikanischen Vertreter bei der Allianz fordern entschlossen eine "deutliche Antwort".

Wie diese aussehen könnte, blieb gestern unklar. Ein erster Appell gegen unbedachte Reaktionen kam aus dem Pekinger Außenministerium. "Wir hoffen, dass die maßgeblichen Beteiligten Ruhe bewahren und die Angelegenheit auf diplomatischem Wege beilegen", sagte ein Sprecher. Moskau, Syriens Waffenlieferant und wichtigste Stütze gegen den internationalen Druck, schwieg. Aber im Nato-Hauptquartier ist jedem klar, dass Russland eine militärische Antwort auf den Zwischenfall nicht einfach hinnehmen würde. So setzt man derzeit vor allem darauf, dass es auch angesichts vieler ungeklärter Fakten heute in Brüssel erst einmal bei einer scharfen Protestnote bleibt.

Meinung

Kein Gegenschlag

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Bei der Nato geht es heute nicht einfach nur um Krieg oder Frieden. Wie die 27 Partner Ankaras auf den Abschluss des türkischen Jets reagieren, hängt von den Informationen ab, die dem Rat vorgelegt werden. Es gibt viele Fragezeichen - bis hin zu der Tatsache, dass der Jet in der Nähe einer russischen Militärbasis eine Schleife Richtung Syrien flog. Wenn sich herausstellen sollte, dass der Abschuss ein Irrtum war, kann der Westen mit einer diplomatischen Antwort in Moskau punkten, wo man sich nicht mehr wohlfühlt in seiner pro-syrischen Position. Eine zu scharfe Reaktion durch einen Militärschlag würde Russland wohl wieder auf Syriens Seite bringen. Daher ist es gut, dass die EU-Außenminister auf Säbelrasseln verzichten. Konsequenz und Diplomatie sind keine Gegensätze, sondern möglicherweise der entscheidende Schritt, um das Assad-Regime zu isolieren.

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