Die Linke rechnet mit sich selbst ab

Berlin. Die wichtigste Person war gar nicht angereist. Nach seiner Krebsoperation vor zwei Monaten stand bei Oskar Lafontaine gestern eine weitere ärztliche Nachuntersuchung auf dem Terminkalender. Geplant war die Sache ganz anders. Die Linksfraktion im Bundestag hatte weder Kosten noch Mühen gescheut und für ihre Jahresauftakt-Klausur die Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz gemietet

Berlin. Die wichtigste Person war gar nicht angereist. Nach seiner Krebsoperation vor zwei Monaten stand bei Oskar Lafontaine gestern eine weitere ärztliche Nachuntersuchung auf dem Terminkalender. Geplant war die Sache ganz anders. Die Linksfraktion im Bundestag hatte weder Kosten noch Mühen gescheut und für ihre Jahresauftakt-Klausur die Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz gemietet. Sie sollte den würdigen Rahmen für eine persönliche Erklärung des Saarländers bieten, ob der auf dem Bundesparteitag im Mai noch einmal für den Parteivorsitz kandidiert oder nicht. Eine definitive Zusage für eine solche Offenbarung gestern in der Hauptstadt hatte es dem Vernehmen nach aber nie von Lafontaine gegeben.

Gelangweilt haben dürfte sich trotzdem niemand unter den gut 600 Gästen. Die ursprünglich geplante Harmonieveranstaltung geriet nämlich zum Scherbengericht über den zerrütteten Zustand der Partei. Vor allem Gregor Gysi, der Fraktionschef, nahm kein Blatt vor den Mund. Der gewandte Rhetoriker klagte lautstark über ein "Klima der Denunziation", das er ganz "unerträglich" finde. Der Auslöser für Gysis Ausbruch geht auf das wohl irreparabel beschädigte Verhältnis zwischen Lafontaine und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zurück.

Irreparables Verhältnis

Dem Vernehmen nach hat Lafontaine intern klargestellt, dass er nicht länger mit Bartsch zusammenarbeiten wolle. Der Saarländer verübelt dem Ostdeutschen vor allem eine Indiskretion, mit der sich Bartsch im "Spiegel" zitieren ließ, nachdem Lafontaine Anfang Oktober 2009 seinen Verzicht auf den Co-Fraktionsvorsitz der Linken bekannt gegeben hatte. Bartsch stellte diese Entscheidung so dar, als sei sie intern "schon Anfang des Jahres" klar gewesen. Fortan lastete auf Lafontaine der Vorwurf der Wählertäuschung, was westliche Landesverbände offen den Rücktritt von Bartsch fordern ließ. Dagegen wiederum machten die ostdeutschen Landesverbände in einer öffentlichen Erklärung mobil.

Hinter dem Konflikt steckt ein fundamentaler Richtungsstreit über den künftigen Kurs der Partei. Im Westen gilt eine Regierungsbeteiligung der Linken als Verrat an der reinen Lehre, derweil den pragmatisch gestimmten Ost-Genossen die Radikalität ihrer Parteifreunde jenseits der Elbe ein Graus ist. Gysi warb eindringlich dafür, endlich ein wechselseitiges Verständnis zu entwickeln. "Vereiniger brauchen wir, nicht Spalter und Besserwisser", sagte er im Blick auf die erst vor drei Jahre erfolgte Parteifusion zwischen der PDS im Osten und der WASG im Westen. Sein gleichzeitiger Hinweis, "ein bisschen vertreten sein sollen alle" in der Partei, lässt allerdings nicht auf ein rasches Ende der Streitereien und Intrigen schließen.

Bartschs Schicksal besiegelt?

Für Dietmar Bartsch ist das politische Schicksal dagegen offenbar besiegelt. In beispielloser Deutlichkeit warf Gysi ihm vor, "nicht loyal" gegenüber Lafontaine gewesen zu sein. Hier müsse es eine Lösung geben, die auch "weh" tun könne. Eine erneute Kandidatur Bartschs als Bundesgeschäftsführer ist damit in weite Ferne gerückt. Da hilft es auch nicht, dass Bartsch gestern noch einmal in mehreren Interviews seine unverbrüchliche Treue zu Lafontaine herausstrich. Fühlt er sich als Buhmann? "Ein bisschen schon", meinte Bartsch am Rande der Veranstaltung kleinlaut.

Bei Lafontaine hofft Gysi indes, dass der Saarländer "nicht mehr" all zu lange für eine Entscheidung pro oder kontra Parteivorsitz braucht. Eingeweihte wollen wissen, dass es Mitte Februar soweit sein könnte. Bis dahin stehen noch ein paar entscheidende ärztliche Nachsorge-Checks aus.

Meinung

Grabenkämpfe bei den Linken

Von SZ-Korrespondent

Stefan Vetter

Mit der öffentlichen Bekanntmachung der parteiinternen Vorwürfe gegen Dietmar Bartsch ist dieser im Amt des Bundesgeschäftsführers der Linken verbrannt - ganz gleich, ob sein Widersacher Oskar Lafontaine weiter Parteivorsitzender bleiben wird oder nicht. Die Personalquerele steht aber nur stellvertretend für den ungeklärten politischen Kurs der Linken. Für die Genossen im Osten ist Bartsch eine Schlüsselfigur, damit die Partei nicht völlig auf die radikale Bahn gerät, wie es viele West-Genossen am liebsten hätten. Jetzt rächt sich, dass die Linke nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG eine zügige programmatische Grundsatzdebatte gescheut hat - mit dem ausdrücklichen Segen Lafontaines. Will man Regierungspartei sein oder Fundamentalopposition? Diese Schlüsselfrage ist offen. Und weil das so ist, macht bei den Linken jeder, was er für richtig hält: Realos kämpfen gegen Radikalinskis, Strukturkonservative gegen Sektierer, Ost gegen West. Lafontaine hat das alles nicht gekümmert. In seinen Augen ist das linke Parteiprojekt in erster Linie dazu da, der SPD Wähler abzuluchsen. Bleibt es dabei, wird der Saarländer irgendwann das einreißen, was er selbst mühsam aufgebaut hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort