Die Linke hält still - zumindest bis zur Wahl

Berlin. Die radikalste Forderung kam von ein paar Genossen aus Baden-Württemberg. Gleich zum Auftakt des Wahlparteitages der Linken in der Berliner Max-Schmeling-Halle forderten sie per Antrag, die Beschlussfassung über das Programm zur Bundestagswahl von der Tagesordnung abzusetzen. Begründung: Dem Text fehle jede "klare Linie und Systematik"

Berlin. Die radikalste Forderung kam von ein paar Genossen aus Baden-Württemberg. Gleich zum Auftakt des Wahlparteitages der Linken in der Berliner Max-Schmeling-Halle forderten sie per Antrag, die Beschlussfassung über das Programm zur Bundestagswahl von der Tagesordnung abzusetzen. Begründung: Dem Text fehle jede "klare Linie und Systematik". Einen solchen Eklat wollten sich die rund 500 Delegierten dann aber doch nicht antun. Der Vorstoß fand nur drei Befürworter.

Dass der Veranstaltungsort ausgerechnet den Namen des berühmtesten deutschen Boxers trug, schien trotzdem gut zum Zustand der Linkspartei zu passen. Über Monate hinweg hatten sich die verschiedenen Flügel einen erbitterten verbalen Schlagabtausch um die politische Vorherrschaft geliefert. Ganz linke Linke gegen vermeintlich linke Rechte, Dogmatiker gegen Reformer, Traditionalisten gegen Pragmatiker. Das schlappe Resultat bei der Europawahl sorgte zusätzlich für Frust.

Und so schaute alles auf den Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der die zerstrittenen Flügel in seiner Rede wieder notdürftig zusammenbinden sollte. Doch der Saarländer verlegte sich auf einen makroökonomischen Exkurs über Wirtschaftskrise und Finanzmarktkontrolle, was die Basis nur mit verhaltener Begeisterung quittierte. Der Zwist in der Partei kam eher am Rande vor. Etwa als Lafontaine empfahl, Seit` an Seit` zu "fighten" statt zu "streiten". Im kleinen Kreis hatte Lafontaine vorher klargestellt, dass sich seine Ausführungen als eine Art Regierungserklärung verstünden. Frei nach der Devise: was wir tun würden, wenn wir die Mehrheit hätten. So betrachtet müssten die Linken allerdings mit sich allein regieren. Denn ihre Forderungen wie etwa der sofortige Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan oder die Abschaffung von Hartz IV sind mit keiner anderen Partei im Bundestag zu machen.

Den Pragmatikern bei den Linken, die sich von Lafontaines Verbalradikalismus zunehmend angewidert fühlten, kam der Saarländer insofern entgegen, als dass er das sozialpolitische Wolkenkuckucksheim im Programmentwurf zumindest etwas der Realität anpasste. Demnach soll ein gesetzlicher Mindestlohn nicht gleich zehn Euro betragen, sondern erst irgendwann in der kommenden Wahlperiode. Zwischenzeitlich gelte das "französische Vorbild". Hinter dieser geheimnisvollen Formel verbirgt sich der gegenwärtig in unserem Nachbarland geltende Mindestlohn von 8,71 Euro, welcher allerdings nicht so konkret ins Programm geschrieben werden durfte, weil dann die Parteilinken rebelliert hätten.

Mit der gleichen Akrobatik wurde auch ein Kompromiss bei Hartz IV gedrechselt. Bis zur Abschaffung soll erst einmal die Forderung "der Gewerkschaften und Sozialverbände" gelten. Demnach müsste der Regelsatz von jetzt 351 auf 435 Euro steigen, bevor eine "Anhebung auf 500 Euro" greifen soll, wie es dann wieder ganz detailliert im Programmbeschluss heißt.

Es war Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi, der dieses linke Allerlei zur politischen Tugend adelte. "Der Reiz unserer Partei besteht in unserer Pluralität." Wer das gefährde, gebe die Partei auf, meinte er unter starkem Applaus der Delegierten. Überhaupt sei dieses Wahlprogramm ja nur für vier Jahre gültig. "Jeder, der heute einem Satz darin zustimmt, ist nicht gezwungen, dem gleichen Satz auch in einem Grundsatzprogramm zuzustimmen." Im Zweifel zählt der Parteifrieden eben mehr als der Gehalt linker Wahlaussagen.

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