Die letzte Chance?

Berlin · Der Ukraine-Krieg entwickelt sich zur Gefahr für den Frieden in ganz Europa. Merkel und Hollande starten eine überraschende Initiative, um das Blutvergießen zu stoppen. Der Zeitpunkt ist günstig, das Risiko aber groß.

Es ist eine bedeutungsschwere Botschaft. Ein Signal, wie sehr der Krieg in der Ostukraine auch zur Bedrohung für den Frieden in Europa geworden ist, wenn nicht für die ganze Welt. Eine Demonstration der Stärke der deutsch-französischen Achse. Aber auch ein Zeichen der Hoffnung: Wenn sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande nach Kiew und Moskau aufmachen, ist das der bisher größte Versuch, die Kriegsfront aufzubrechen.

Bisher waren alle Vermittlungsbemühungen erfolglos, und die Sanktionen gegen Russland bewirkten kein Einlenken Moskaus. Nun steigt jene Politikerin ins Flugzeug, die als mächtigste Frau der Welt gilt. Staats- und Regierungschefs von den USA bis Asien messen ihr wegen ihrer DDR-Biografie, ihrem Verständnis für Russland und ihrem fließenden Russisch am ehesten Einfluss auf Putin zu.

5400 Tote sind es inzwischen, Zehntausende Verletzte. Vertreibung, Zerstörung, Hass. Mitten in Europa. Proeuropäer stehen Prorussen gegenüber, der Westen und der Osten gehen auf Konfrontation. Zu Wochenbeginn dann eine weitere Eskalation: Die prorussischen Separatisten kündigen die Mobilmachung Zehntausender neuer Kämpfer an, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko drängt die Nato , moderne Waffen zu liefern. In den USA wird über die Lieferung auch tödlicher Waffen an Kiew gesprochen. Die Nato will angesichts der russischen Einmischung in der Ukraine ihre schnelle Eingreiftruppe für weltweite Einsätze von etwa 20 000 auf 30 000 Soldaten aufstocken.

Merkel forderte am Montag und am Dienstag und am Mittwoch stereotyp: Worte statt Waffen. Sie mahnte: "Auf diplomatische Lösungen zu setzen ist, glaube ich, das Gebot der Stunde." Auch wenn das nicht so schnell zu Resultaten führe, wie sie es sich wünsche.

Gestern dann völlig überraschend die Ankündigung, dass sie mit Hollande nach Kiew und Moskau reist. Am Samstag tritt sie bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf, am Sonntag reist sie zu US-Präsident Barack Obama nach Washington, und am 12. Februar befasst sich der EU-Gipfel mit der Ukraine . "Die zeitliche Kulisse ist da", sagen Diplomaten in Berlin .

In Moskau dürfte Merkel Putin noch einmal vor Augen halten, welch hohen Preis er für die Angriffe der Separatisten in der Ukraine zahlen muss. Die russische Wirtschaft ist bereits getroffen und damit leidet die Bevölkerung. Auf der anderen Seite könnte Merkel wiederholen, was sie beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos für den Fall der Konfliktlösung in Aussicht gestellt hatte: eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok. Genau die hatte Putin vor Jahren selbst vorgeschlagen.

Hollande sagt: "Wir müssen eine Lösung finden, die von allen Seiten akzeptiert wird." Genau das ist die Schwierigkeit. Und das Risiko ist groß. Wenn nach den Außenministern auch die Staats- und Regierungschefs mit dem Versuch scheitern, eine Deeskalation in der Ostukraine zu erreichen - dann bleibt nicht mehr viel übrig.

Ob die Merkel-Hollande-Initiative erfolgreich war, wird sich wahrscheinlich schon am Wochenende in München zeigen. Bei der Sicherheitskonferenz verbringen Poroschenko, sein Außenminister Pawel Klimkin und der russische Außenminister Sergej Lawrow etliche Stunden im selben Hotel. Auch Merkel, Frank-Walter Steinmeier und der französische Außenminister Laurent Fabius werden als Vermittler da sein, außerdem US-Vizepräsident Joe Biden und Außenminister John Kerry . Eine viel bessere Gelegenheit, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, kann man sich kaum vorstellen.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie Münchner Sicherheitskonferenz zählt zu den weltweit wichtigsten außenpolitischen Expertentreffen. Zur 51. Konferenz im Hotel Bayerischer Hof werden mehr als 400 Teilnehmer aus fast 80 Ländern erwartet, darunter etwa 20 Staats- und Regierungschefs sowie rund 60 Außen- und Verteidigungsminister. Von heute bis Sonntag wird über alle großen Krisen vom Ukraine-Konflikt über den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat bis zum Atomstreit mit dem Iran diskutiert. Im offiziellen Programm stehen mehr als 20 Reden und Podiumsdiskussionen. Viel wichtiger sind aber meist die Gespräche, die am Rande der Veranstaltung geführt werden.Am Samstag spricht Kanzlerin Angela Merkel. Sie wird frische Eindrücke aus Kiew und Moskau mitbringen, wo sie sich mit François Hollande um eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise bemühen wollte. Es ist nach vier Jahren Merkels erster Auftritt in München. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort