Die Kundus-Affäre - noch immer hat keiner Schuld

Berlin. Eigentlich war schon die Luft raus aus dem Untersuchungsausschuss über das Kundus-Bombardement vom 4. September 2009. Bei dem vom deutschen Oberst Georg Klein damals befohlenen Einsatz amerikanischer Bomber gegen angebliche Taliban starben bis zu 140 Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche

Berlin. Eigentlich war schon die Luft raus aus dem Untersuchungsausschuss über das Kundus-Bombardement vom 4. September 2009. Bei dem vom deutschen Oberst Georg Klein damals befohlenen Einsatz amerikanischer Bomber gegen angebliche Taliban starben bis zu 140 Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) musste Ende 2009 wegen der seltsamen Informationspolitik seines Ministeriums über den Zwischenfall seinen gerade neu erworbenen Hut als Arbeitsminister nehmen; Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ging wegen der Plagiatsaffäre. Obwohl also ein politisch-personelles Ziel der Untersuchung fehlt, und obwohl alle Parteien inzwischen die Abläufe jener Nacht ähnlich darstellen, ist nun ein heftiger Streit um die Bilanz der Ausschussarbeit entbrannt.Bereits Ende Juni stellten die Koalitionsfraktionen Union und FDP einen Entwurf für den Abschlussbericht fertig. Darin werden beide Minister von jeglicher Schuld für die falschen Informationen und Einschätzungen frei gesprochen. Zur Erinnerung: Minister Jung hatte zunächst nur von Taliban als Opfern gesprochen und Guttenberg hatte den Einsatz anfangs als "angemessen" bezeichnet. Die Verantwortung dafür wird nun komplett Ex-Staatssekretär Peter Wichert und Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan zugeschoben, die Guttenberg gegen heftige Kritik der Opposition Ende 2009 entlassen hatte. Beide hätten die Spitze des Verteidigungsministeriums "lückenhaft" und "einseitig" unterrichtet. Außerdem wird in dem Entwurf die Opposition scharf angegriffen. Sie habe "völlig fragwürdige Theorien vertreten" und "destruktiv" an der Aufklärung mitgearbeitet. Die Koalition bemüht sich erst gar nicht um eine gemeinsame Bewertung, sondern sieht von vornherein ein Kapitel für "Sondervoten" der anderen Parteien vor. Die Sondervoten liegen seit gestern vor. Die SPD gibt auf ihren 268 Seiten nicht nur den beiden zurückgetretenen Unions-Ministern eine Verantwortung für Fehlinformationen, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel. Die habe, so der verteidigungspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Rainer Arnold, wechselnde Bewertungen abgegeben und die unangenehme Sache ihren Ministern überlassen. Die Grünen sehen das ähnlich, kritisieren aber auch Merkels damaligen Herausforderer, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Der habe sich als Außenminister damals sehr passiv verhalten.

Den Zwischenfall selbst schildern alle Seiten ähnlich. Oberst Klein stand wegen vorangegangener Kämpfe unter erheblichem Stress, als die Taliban zwei Laster in der Nähe des deutschen Lagers entführten. Er fürchtete einen Anschlag, zudem sah er die Chance, führende Taliban-Vertreter zu eliminieren. Klein sagte den amerikanischen Bomberpiloten fälschlicherweise, dass man direkten feindlichen Kontakt habe, um die Eilbedürftigkeit zu unterstreichen. Alle Sicherungen wurden umgangen. Der Oberst verließ sich bei der Lagebeurteilung auf einen afghanischen Informanten, der aber keinen direkten Blickkontakt zum Geschehen hatte und behauptete, es befänden sich nur Taliban an den Fahrzeugen. Arnold sagte, Klein habe gegen die Einsatzrichtlinien verstoßen und forderte die Bundeswehr auf, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. "Hätte er sie beachtet, hätte es die Bomben nicht gegeben." Die Koalition stellt in ihrem Abschlussbericht diese Fakten ebenfalls dar, sieht Klein jedoch in einer Art Entscheidungsnotstand. Zudem seien die Vorschriften nicht eindeutig gewesen.

Dass es nun im Oktober zu einem heftigen Schlagabtausch über den Abschlussbericht im Bundestag kommen wird, scheint unausweichlich. Immerhin äußerte Arnold gestern den Wunsch, dass man vorher noch im Ausschuss versuchen möge, wenigstens gemeinsam praktische Schlussfolgerungen für den weiteren Bundeswehreinsatz festzuhalten, etwa über die Einhaltung von Kommando- und Informationswegen. Damit sich so etwas nicht wiederhole.

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