„Die Kirchen blenden ihre eigene Verantwortung völlig aus“

Als „blamabel“ bezeichnet der frühere Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik, Friedhelm Hengsbach, die neue soziale Initiative der Kirchen. Mit dem Jesuit sprach SZ-Redakteurin Iris Neu.

Herr Hengsbach, was sind Ihr Kritikpunkte an dem neuen Sozialpapier?

Hengsbach: Verglichen mit dem Sozialwort der Kirchen von 1997 finde ich die zehn Thesen der Initiative blamabel. Damals wurden die Probleme der Arbeitslosigkeit, Armut und die gesellschaftlichen Konflikte konkret angesprochen. Dieses Papier aber hat einen ganz anderen Stil: Es schaut wie von einem fremden Stern, gleichsam aus der Weltraum-Perspektive, auf die Gesellschaft. Es bezieht überhaupt keinen Standpunkt.

Sollten die Kirchen überhaupt politisch Position beziehen? Oder sollten sie sich nicht besser ganz auf die Seelsorge konzentrieren?

Hengsbach: Ich finde es grundsätzlich richtig, dass die Kirchen aus dem Glauben, aus einer ethischen Perspektive heraus Kritik üben an negativen Erscheinungsformen. Nur dass im vorliegenden Papier eine ethis che Argumentation gar nicht erst auftaucht. Deshalb hängen die biblischen Hinweise in der Luft.

Welche Ursache steckt dahinter?

Hengsbach: Das gemeinsame Wort der Kirchen vor 17 Jahren war von der Basis vorbereitet, vom Kirchenvolk. Das neue Papier kommt aus der Kirchenleitung. Daran erkennt man zumindest bei der katholischen Kirche eindeutig das vertikale Schisma: Katholische Sozialverbände ticken ganz anders als die Herrn Bischöfe. Diese Spannung wird deutlich, wenn man die beiden Papiere vergleicht.

D ie Kirchen haben ja durchaus ihre eigenen Probleme - man denke nur an die Affäre um Bischof Tebartz-van Elst. Ist dieses Papier überhaupt glaubwürdig?

Hengsbach: Die Kirchen sprechen von der gemeinsamen Verantwortung der Wirtschaft, der Politik oder der Gesellschaft. Aber ihre eigene Verantwortung blenden sie völlig aus. Die Kirchen sind der größte Arbeitgeber im sozialen Bereich. Auch bei ihnen findet man das, was sie woanders kritisieren: atypische prekäre Arbeitsverhältnisse, Personalabbau und drohende Altersarmut der Teilzeitarbeitende.

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