Die Jagd nach dem letzten Barrel

Saarbrücken. So hören sich Superlative an. Man habe "Öl von Weltklasse" gefunden, freut sich Moses Essen, das nur mit "Technologie der Weltklasse" aus der Tiefe der See exploriert werden könne. Der Fachmann der Gesellschaft Tullow Oil Ghana spricht von dem Jubilee-Feld mit 1,3 Milliarden Barrel, das 65 Kilometer vor Ghana entdeckt wurde. 2010 soll die Förderung anlaufen

Saarbrücken. So hören sich Superlative an. Man habe "Öl von Weltklasse" gefunden, freut sich Moses Essen, das nur mit "Technologie der Weltklasse" aus der Tiefe der See exploriert werden könne. Der Fachmann der Gesellschaft Tullow Oil Ghana spricht von dem Jubilee-Feld mit 1,3 Milliarden Barrel, das 65 Kilometer vor Ghana entdeckt wurde. 2010 soll die Förderung anlaufen. Solche Hoffnungen hegt man auch in Brasilien: Vor der Küste stieß der Konzern Petrobras unlängst auf das riesige Feld mit fünf bis acht Milliarden Barrel, ganz neu ist ein Fund in ähnlicher Größenordnung ebenfalls in dieser Meeresregion. Die US-Behörde Geological Survey vermutet in der Arktis 90 Milliarden Barrel.

Im Becken des Athabasca-Flusses in Kanada lagern immense Mengen an Erdöl im sandigen Untergrund, die von der Regionalregierung auf insgesamt 175 Milliarden Barrel geschätzt werden, täglich werden bereits 1,1 Millionen Barrel gewonnen. Zum Vergleich: Im gesamten Mittleren Osten umfassen die nachgewiesenen Ölvorkommen 750 Milliarden Fass. In Kanada haben neben kleineren Unternehmen auch Shell und Exxon Ölsandprojekte gestartet, in Nigeria ist ENI aus Italien auf diesem Feld aktiv. Im US-Präsidentschaftswahlkampf spielt der Streit um eine eventuelle Aufhebung des Förderverbots vor den Küsten eine große Rolle. Amtsinhaber George W. Bush: "Unser Land muss mehr Öl produzieren."

Die trotz einer gewissen Abflachung nach wie vor hohen Preise des schwarzen Golds haben ein Fieber entfacht: Vielerorts auf dem Globus wird nach neuen Quellen gefahndet. Der Run macht selbst um die Bundesrepublik keinen Bogen. Aus heimischen Quellen werden nur 3,3 Prozent des deutschen Bedarfs gedeckt, der größte Teil stammt von der Nordsee-Plattform Mittelplate. Doch selbst Mini-Fundorte werden plötzlich attraktiv: Derzeit haben 20 Firmen Lizenzen für die Suche nach Öl wie nach Gas, die Rhein Petroleum AG erforscht etwa den Voralpenraum. Die Diskussion über die Frage, wie lange die Ölvorräte auf dem Erdball eigentlich noch reichen, und über den Hype beim Rennen um unerschlossene Lagerstätten hat auch den Bundestag erreicht. Dort stuft man dieses Thema indes offenbar "nicht als kriegsentscheidend für die Politik" ein, wie es der Energiepolitiker Axel Berg formuliert. Trotz zusätzlicher Funde sei die Erkenntnis über die "grundsätzliche Endlichkeit der Vorkommen" wesentlich, so der SPD-Abgeordnete. Helfen könne nur ein "schnelles radikales Umsteuern" hin zu erneuerbaren Energien.

In den Siebzigern prophezeite der Club of Rome, mit dem Öl werde es in drei bis vier Jahrzehnten zu Ende sein. So kam es freilich nicht. Sämtliche Prognosen dieser Art seien "Spekulationen", betont die FDP-Parlamentarierin Gudrun Kopp, "diese Debatte sollte man am besten gar nicht führen". Nach seriösen Schätzungen werde das Öl noch 60 bis 100 Jahre reichen, "doch auch dies ist nicht verlässlich", meint die Liberale. Den Öl- und Gasverbrauch reduzieren, einen "breiten Energiemix" aufstellen: Nur dieses Ziel zähle. So sieht es auch Joachim Pfeiffer. Der CDU-Energiepolitiker ist überzeugt, dass das Ölzeitalter gar nicht mal aus Ölmangel zu Ende gehen werde, eine größere Rolle spielten Aspekte wie der Preis, der Klimaschutz oder der Ausbau regenerativer Energien. Es sei sogar denkbar, dass etwa die bislang teure Ausbeutung von Ölsanden wie in Kanada über eine Ausweitung des Angebots den Preis wieder sinken lasse. Doch das werde am Trend nichts ändern.

Gleichwohl nimmt der Wettlauf um neue Barrel-Funde Tempo auf. Laut Internationaler Energieagentur kann die tägliche Fördermenge von rund 87 Millionen Fass bis 2030 auf 103 bis 116 Millionen Barrel gesteigert werden. Das sei "zu optimistisch" kalkuliert, meint Jean-Jacques Mosconi. Aus Sicht des Total-Konzernchefs wird die Tagesleistung schon 2020 mit bestenfalls 100 Millionen Fass ihren Gipfel überschritten haben. Derzeit werde bereits "am Rande der Kapazitätsgrenzen" gefördert, analysiert Klaus-Jürgen Gern vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, in der Nordsee oder in Mexiko gingen die Vorkommen zur Neige. Die Erschließung zusätzlicher Vorräte sei "teurer und zeitaufwändiger" als gedacht. Beim Mineralölwirtschaftsverband stoßen solche Thesen auf Kritik. Der technologische Fortschritt werde die Reichweite der Lagerstätten "um Jahrzehnte verlängern", unterstreicht Hauptgeschäftsführer Klaus Picard.

Oft übersehen wird in der Diskussion die Unterscheidung zwischen "Reserven" und "Ressourcen". Als "Reserven" gelten Vorkommen, die mit heutiger Technik zu akzeptablen Preisen exploriert werden können. Doch neue Technologien und Rohölpreise über dem lange Zeit gewohnten Niveau lassen auch unerschlossene "Ressourcen" lukrativ erscheinen. Kanada hat die Gewinnung aus Ölsanden mittlerweile zur Industriereife entwickelt. Neue Techniken etwa bei Bohrsystemen erhöhen die Ausbeutungsquote bei Lagerstätten spürbar. Niemand kann freilich präzise sagen, in welchem Maß die Kapazität der Ressourcen das Potenzial der Reserven übersteigt. Als Reserven gelten Vorkommen, die mit heutiger Technik zu akzeptablen Preisen gefördert werden können.

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