Die gute Hexe aus Homburg

Homburg · Das Wissen über die Heilkraft der heimischen Pflanzenwelt ist vielfach verloren gegangen. Doch es werden wieder mehr Menschen neugierig, sagt die Kräuterfachfrau Gabriele Geiger.

 „Draußen zu sein, macht mein Leben aus“: Gabriele Geiger während einer ihrer Wanderungen durch die Natur. Manchmal begleitet sie dabei ihr Neufundländer-Mischling Samson. Fotos: Schäfer

„Draußen zu sein, macht mein Leben aus“: Gabriele Geiger während einer ihrer Wanderungen durch die Natur. Manchmal begleitet sie dabei ihr Neufundländer-Mischling Samson. Fotos: Schäfer

Ein fies juckender Mückenstich? Gabriele Geiger rät zu Spitzwegerich. Hartnäckiger Schnupfen? Die Fachfrau empfiehlt eine Gundermann-Tinktur. Gegen Kopfweh hilft Pfefferminze, gegen Müdigkeit Rosmarin, und wer Angst vor einer wichtigen Prüfung hat, der sollte mal Beifuß probieren.

Beifuß , auch Weiberkraut oder Mutwurz genannt, ist eine der liebsten Heilpflanzen von Gabriele Geiger , die man "Kräuterhexe" nennen darf, ohne dafür einen bösen Blick zu ernten. "Ich empfinde das nicht als Schimpfwort. Hexen sind zwar gefürchtet, doch Hexen verfügen auch über unschätzbares Wissen." In ihrer Familie wurden die Zauberkräfte der Natur noch wie selbstverständlich weitererzählt, "mein Vater hat mir viel beigebracht". So etwas prägt, lässt einen nicht mehr los. Und manchmal wird so eine Leidenschaft dann zum Beruf. Seit knapp 20 Jahren gibt die 54-Jährige aus Homburg-Einöd als Heilpraktikerin und Kräuterexpertin ihr Wissen jetzt schon weiter. Ihr Wissen über all das, was auf Wiesen und in Wäldern an guten Sachen wächst, was schmackhaft und was heilsam ist. Es sind Kenntnisse, die vielfach verloren gegangen sind, weil es die meisten bequemer und sicherer finden, schnell ein paar Pillen in der Apotheke zu kaufen - statt die gut sortierte Apotheke zu nutzen, die am Wegesrand auf uns wartet.

Aber, so nimmt es Gabriele Geiger wahr: Da ändert sich gerade etwas. Die Zahl derer, die ihr Tun belächeln, sinkt stetig. Die Mutter eines 15-jährigen Sohnes, die 1970 als Kind aus Bayern ins Saarland kam, sieht eine "Renaissance der Natur". Ihre Kräuterwanderungen zum Beispiel durch den Bliesgau sind meist ausgebucht. "Es werden immer mehr Leute offen für heimische Kräuter . Das Bewusstsein für die eigene Heimat wird wieder stärker." Gabriele Geiger erlebt dieses Zurück zu den Wurzeln, diese Neugierde als "großes Geschenk". Es sei wunderbar zu sehen, wie Menschen, die auf einer Wiese sitzen und sich über einen Mückenstich ärgern, plötzlich merken, dass zu ihren Füßen Hilfe wächst. Zu 90 Prozent sind es Frauen, die mit ihr auf Wanderschaft gehen, um die heimische Pflanzenwelt kennenzulernen, diese "schillernde Vielfalt".

Wie der Beifuß . Er gilt als "Mutter aller Kräuter ", weil er gegen viele Beschwerden hilft, von Frauenleiden bis zu Verdauungsproblemen. Auch soll er auf magische Weise schützen und stärken, daher sein Name Mutwurz. Überhaupt Namen, sagt Gabriele Geiger : "Sie verraten so viel. Und die Anekdoten dahinter sind nicht nur amüsant, sondern helfen auch beim Lernen von Unterschieden."

Das geht schon beim Löwenzahn los. "Eine Pflanze, die nach dem König der Tiere benannt ist, muss eine starke Pflanze sein. Löwenzahn reißt wie ein Raubtier Gift aus dem Körper." Diese "wirklich tolle Pflanze" kennt jedes Kind. Doch wie sieht es mit der Witwenblume oder Johanniskraut aus?

Für den Namen Witwenblume, einst ein Mittel gegen Krätze , Pest und Epilepsie, hat Gabriele Geiger eine traurige Erklärung: "Witwen waren früher oft bitterarm, hatten deshalb wenig Möglichkeiten zur Körperpflege und waren anfälliger für die Krätze ." Johanniskraut wiederum, so will es eine Sage, wuchs aus dem auf die Erde getropften Blut von Johannes dem Täufer - nachdem er geköpft worden war. Weil das Kraut stets rund um den längsten Tag des Jahres blüht, speichert es die Kraft der Sonne besonders gut. Und kann sie an dunklen Wintertagen an uns Menschen abgeben. Das gelingt mit selbst gemachtem Johanniskrautöl , das furchtbar leicht hergestellt wird: Knospen, Blüten und ein paar Blätter in ein Schraubglas geben, mit gutem Sonnenblumenöl übergießen, sechs Wochen in die Sonne stellen, abseihen, fertig. Das Ganze ist dunkel und kühl gelagert ein Jahr haltbar (und der seltsame Geruch normal).

Doch nicht nur Namen spielen eine Rolle, auch Standort und Wuchs geben Hinweise auf das Können einer Pflanze, sagt Gabriele Geiger . So heißt die Schafgarbe wegen ihrer filigranen Blätter Augenbraue der Venus. Und Walnüsse sehen im Innern nicht nur aus wie ein Gehirn, sondern fördern in der Tat die Konzentrationsfähigkeit.

Aber wie und wo findet man all die Schätze der Natur? Zunächst, das macht Gabriele Geiger klar: "Wer sich nicht genau auskennt, lässt besser die Finger weg." Zwar sei die Gefahr einer Vergiftung bei Weitem nicht so groß wie bei Pilzen, dennoch: "Es braucht Übung, um bestimmte Pflanzen nicht zu verwechseln." Wer schon Übung hat, sollte beim Sammeln einige Regeln beachten. Die wichtigste: "Gehe mit Achtsamkeit in die Natur und beute sie nicht unnötig aus." Hätten sich mehr Menschen daran gehalten, sagt Gabriele Geiger , "wäre unsere Erde heute nicht in einem solch schlechten Zustand". Heißt: Nur so viel ernten, wie man wirklich braucht, um den Fortbestand einer Pflanze nicht zu gefährden. Eine andere Regel lautet: Sich stets bedanken, mit einem Lied, einem Gebet. "Es ist ein Geben und Nehmen. Wer das verinnerlicht, lebt die Tradition der weisen Frauen." Unsere Vorfahren hätten sich viel stärker als Teil der Natur gefühlt, hätten sie besser verstehen und die Kraft der Kräuter besser nutzen können.

Doch Hand aufs Herz: Funktioniert sie wirklich, die Methode gepflückte Gesundheit? Muss die Kräuterhexe nie zum Arzt? "Ich bin sehr dankbar, dass es die Schulmedizin gibt", betont Gabriele Geiger . Ein Blutbild, Ultraschall, Operationen: "Das Beste ist, wenn sich Schul- und Alternativmedizin ergänzen. Da nähern wir uns immer mehr an." Früher sei sie als Heilpraktikerin schief angeschaut worden von Ärzten, jetzt sei das anders. "Wenn niemand dogmatisch ist und für sich das allein Seligmachende beansprucht, haben wir eine große Chance, den Menschen optimal zu helfen." So wie Gabriele Geiger im Frühjahr geholfen wurde nach einem Bänderriss im Fuß. Damals bekam sie eine Packung des Schmerzmittels Ibuprofen mit nach Hause. Die Packung steht noch in ihrem Badezimmerschrank - ungeöffnet.

 Ein Wiesenpflaster: Spitzwegerich hilft bei kleineren Verletzungen und Insektenstichen.

Ein Wiesenpflaster: Spitzwegerich hilft bei kleineren Verletzungen und Insektenstichen.

Zum Thema:

HintergrundAm 13. Juli findet im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim der 3. Saarländische Heilpflanzentag statt. Von 10 bis 18 Uhr gibt es Workshops und einen Markt. Informationen und Anmeldung unter Telefon (0 68 43) 90 02 11 und im Netz auf www.europaeischer-kulturpark.de . tho

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