"Die Grünen schwimmen sich frei"

Herr Falter, vor drei Wochen haben Sie noch auf eine rot-rot-grüne Landesregierung im Saarland getippt. Das jetzige Ergebnis muss Sie überraschen.Falter: Ich bin von Lafontaine überrascht, in der Tat. Ich dachte, er sucht sich seine Bühne auf der nationalen Ebene

Herr Falter, vor drei Wochen haben Sie noch auf eine rot-rot-grüne Landesregierung im Saarland getippt. Das jetzige Ergebnis muss Sie überraschen.

Falter: Ich bin von Lafontaine überrascht, in der Tat. Ich dachte, er sucht sich seine Bühne auf der nationalen Ebene. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass ihm solche taktischen Schnitzer unterlaufen, wie es ja geschehen ist, als er kurz vor der Entscheidung der Grünen ankündigte, ins Saarland zurückzukehren. Damit hat er der Führung der Saar-Grünen die entscheidenden Argumente geliefert, die schwankenden Mitglieder von Schwarz-Gelb-Grün zu überzeugen.

Können Sie sich vorstellen, dass hinter Lafontaines Entscheidung doch ein taktisches Kalkül steckte?

Falter: Nein, im Grunde nicht. Ob er gedacht hat, dass seine Entscheidung die Grünen eher zu Rot-Rot-Grün bringen könnte? Vielleicht war es eine Fehlkalkulation, was bei seinem hoch entwickelten Ego ja möglich wäre.

Vielleicht hat man ihn als Strategen auch überschätzt.

Falter: Vielleicht. Aber das ist immer noch ein Fehler, der selbst einem Anfänger nicht passieren würde. Oder ein Beispiel für seine Kontinuität im Unberechenbaren.

Die Grünen im Saarland sind aber auch schwer auszurechnen. Ist die Entscheidung für Jamaika ein Einzelfall oder der Beginn eines neuen Trends?

Falter: Ich glaube, dass die Gründe für diese Entscheidung ausschließlich auf Landesebene liegen. Andererseits gibt es andere Regionen in Deutschland, wo eine schwarz-gelb-grüne Zusammenarbeit auch denkbar ist, wie zum Beispiel in Baden-Württemberg, in Bayern oder in Rheinland-Pfalz. Auch dort gibt es viele Grüne, die mit dem so genannten bürgerlichen Lager zurechtkämen. Dort sind die Realos viel stärker als die Fundis. Es gibt ja schon seit langem viele Stimmen bei den Grünen, die von großen Übereinstimmungen mit CDU und FDP sprechen. Und wenn dann noch die Knackpunkte wie der Atomausstieg und die Bildungspolitik geklärt sind, kann man sich durchaus auf der Länderebene zusammentun.

Drohen jetzt Flügelkämpfe zwischen Realos und Fundis?

Falter: Es wird stärkere Auseinandersetzungen geben, allerdings situationsbezogen. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Da würde es wesentlich schwieriger für eine Jamaika-Koalition, obwohl CDU und FDP eigentlich leichtere Koalitionspartner für die Grünen sein könnten, aber die Grünen dort sind sehr auf Linkskurs.

Linke-Chef Gregor Gysi hat den Grünen nach der Entscheidung im Saarland vorgeworfen, das linke Lager zu verlassen . . .

Falter: Nein, das glaube ich nicht. Sie versuchen, sich freizuschwimmen, sich von der Ankettung an das linke Lager zu lösen. Es ist immer schlecht, wenn man nur eine Option hat. Dann ist man auf Gedeih und Verderb gebunden. Die Grünen werden darauf bedacht sein, mehr Koalitionsmöglichkeiten zu haben.

Wie stehen die Chancen der Jamaika-Koalition, die nächsten fünf Jahre zu überstehen?

Falter: Das wird gelingen, wenn der feste Wille zur Zusammenarbeit da ist. Peter Müller zumindest ist flexibel genug, auf die Befindlichkeiten der Grünen einzugehen. Außerdem ist die Chemie zwischen Liberalen und Grünen im Saarland nicht so gestört wie in anderen Ländern.

Hintergrund

Das Jamaika-Votum der Saar-Grünen hat in der gesamten Partei einen heftigen Streit ausgelöst. Grünen-Chef Cem Özdemir lobte, die Saarländer hätten Union und FDP erstaunlich viele inhaltliche Zugeständnisse abgetrotzt. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin beteuerte indes, auf Bundesebene gebe es keine Annäherung der Grünen an CDU und FDP. Wenig Verständnis kam von der Grünen Jugend. Dany Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im EU-Parlament, bezeichnete Hubert Ulrich sogar als "Mafioso". Das ging Özdemir aber klar zu weit: "Ein solcher Stil wird von uns in aller Deutlichkeit zurückgewiesen."ddp

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