Die Grünen gefallen sich als Joker

Berlin · Während die SPD-Basis ein schwarz-rotes Bündnis am Ende noch stoppen könnte, schmeichelt es den Grünen, weiterhin für eine Regierungsbeteiligung interessant zu bleiben.

In Hessen haben gestern die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen begonnen. In Berlin ist eine Regierungsbildung sieben Wochen nach der ersten Kontaktaufnahme zwischen Union und SPD hingegen immer noch in der Schwebe. Werden die Grünen am Ende auch im Bund zum Joker, falls sich die SPD-Basis einem Koalitionsvertrag mit den C-Parteien verweigert? Miteinander reden wolle man auf jeden Fall noch einmal, erklärten gestern führende Grüne. Aber die Erfolgsaussichten sind eher bescheiden.

Bereits in drei Wochen soll der schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Hessen stehen. Auf diesen ehrgeizigen Zeitplan haben sich gestern beide Seiten geeinigt. Selbst beim wohl größten Streitthema, dem Frankfurter Flughafenausbau sind die Hürden nicht mehr unüberwindbar. "Auf jeder Seite gibt es ein klares Verständnis für die Identität des anderen", meinte der Chef der hessischen Grünen, Tarek Al-Wazir. Sogar Joschka Fischer, einstiger Übervater der Partei, hat dem Projekt der nach dem gescheiterten Experiment in Hamburg ersten schwarz-grünen Regierungsbildung in einem Flächenland seinen Segen gegeben. Nachdem Al-Wazir bei ihm Rat suchte, schickte Fischer am letzten Donnerstag eine SMS, in der er den Parteifreund zu dem Schritt ermutigte. In sechs von 16 Bundesländern sitzen die Grünen derzeit mit am Kabinettstisch. Mit Hessen wären es sieben.

So strahlt der neue Feldversuch weit über die hessischen Landesgrenzen hinaus. "Das ist gut für die politische Kultur im ganzen Land", schwärmte der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, gestern im Anschluss an eine Vorstandssitzung. Und was heißt das nun für Berlin? Man müsse "mit allen reden", falls Schwarz-Rot am Ende noch an der SPD-Basis scheitere, erklärte Özdemir. Einschränkend fügte er aber hinzu, dass sich "nichts an den Gründen" für ein Scheitern der gemeinsamen Gespräche im ersten Anlauf geändert habe. Nach ihren Sondierungen am 10. und 15. Oktober hatten beide Seiten unüberwindbare Differenzen festgestellt. Die Union in der Steuerpolitik und die Grünen beim Thema Energiewende. Da wirkte es wie bestellt, dass die grüne Bundestagsfraktion gestern eine Expertenanhörung zu ihrem Herzblutthema Energie veranstaltete. "Hier müsste sich schon viel ändern", meinte Fraktionschef Toni Hofreiter mit Blick auf die Union.

Der Glaube daran hält sich in grünen Führungskreisen allerdings in Grenzen. Klar sei, dass die Partei nicht für weniger zu haben sei als die SPD, heißt es. Nur, warum sollte sich die Union ein "SPD-Plus-Programm" antun, wird gefragt. Auch über die hessische Regierungsbildung ist intern Skepsis zu vernehmen. Zwar gilt das Land als politischer Vorreiter für neue Farbenspiele. 1985 kam es dort unter der Verantwortung von Joschka Fischer zur ersten rot-grünen Koalition überhaupt. Allerdings sei sie auch vorzeitig zerbrochen. Dieser Fall, so der Einwand, könnte sich nun bei Schwarz-Grün wiederholen.

Freilich dürfte es der Grünen-Spitze auch ein bisschen schmeicheln, dass die Partei nach ihrem Desaster bei der Bundestagswahl weiter für Regierungsoptionen interessant bleibt. Anders als in Hessen, wo die Führung um Al-Wazir offen ins schwarz-grüne Gelingen verliebt ist, gibt es allerdings nichts dergleichen in Berlin. Parteichef Özdemir verwies gestern auch auf die Möglichkeit einer Regierung mit SPD und Linken. Man dürfe den alten "Fehler" der einseitigen Fixierung auf Rot-Grün nicht durch einen neuen, nämlich der "schwarz-grünen Strategie" ersetzen, sagte Özdemir.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort