Die Großen müssen nachsitzen

Berlin · Fast auf den Tag genau vor 40 Jahren erschien ein kleines Büchlein. Titel: „Wirtschaftsriese – Bildungszwerg“.

Es war die kritische Analyse eines damaligen Bildungsreports über Deutschland. Auch heute gilt die deutsche Wirtschaftskraft weltweit als vorbildlich. Politik, Wirtschaft und auch die Gewerkschaften preisen das duale System der Berufsausbildung mit seinem Zusammenspiel von Betrieb und staatlicher Berufsschule als beispielgebend.

Doch mit der Allgemeinbildung und den Basiskompetenzen der Bevölkerung zwischen 16- und 65-Jahren ist es in Deutschland gar nicht so gut bestellt. Lesen, Rechnen, mit Computern umgehen: Im internationalen Vergleich sind die Deutschen nicht klüger als andere, sondern nur Mittelmaß. Das ist das Ergebnis der ersten "Pisa-Studie für Erwachsene", die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gestern in Berlin unter dem Titel "Piaac 2012" vorgestellt hat. 166 000 Bürger in 24 Ländern wurden dafür getestet, in Deutschland nahmen 5465 Personen teil.

Erschreckendes Ergebnis: 17,5 Prozent der deutschen Erwachsenen lesen auf dem Niveau Zehnjähriger. Beim Verstehen und Interpretieren landen sie auf Platz 15 von 23. Das beste Leseverständnis haben die Menschen in Japan und Finnland. Auf den letzten Plätzen rangieren Spanien und Italien.

In Sachen "alltagsmathematische Kompetenz" kommen die Bundesbürger aus dem Heimatland von Rechenkünstler Adam Riese mit ihren Gesamtleistungen auch nur knapp ins internationale Mittelfeld. Fast jeder Fünfte rangiert aber auf absolut niedrigem Niveau. Das bedeutet, über einfaches Zählen und die Grundrechenarten kommt diese Gruppe nicht hinaus. Die besten Ergebnisse erzielen erneut Japan und Finnland, im Schnitt beträgt der Vorsprung dort gegenüber den Deutschen vier bis fünf Schuljahre. Italien und Spanien wurden wieder Letzte.

Auch der Umgang mit dem Computer fällt den deutschen Erwachsenen eher schwer. So scheitern allein 12,6 Prozent an der Nutzung der Maus. Lediglich ein Drittel schafft komplexere Aufgaben, wie das Navigieren über Webseiten.

Insgesamt schneiden die jüngeren Erwachsenen besser ab. Die besten Leistungen verzeichnen die 25- bis 34-Jährigen. Die schlechtesten Ergebnisse erzielen die 55- bis 64-Jährigen. Wie in anderen Ländern auch. Seitens der Bundesregierung hieß es gestern, die erhöhten Investitionen der letzten Jahre in Bildung würden wirken.

Anfang der 1970er Jahre waren die Kultusminister die ständige internationale Kritik am deutschen Bildungssystem leid und klinkten sich bei weltweiten Untersuchungen einfach aus. Erst seit Ende der 1990er Jahre stellt sich die deutsche Bildung wieder internationalen Vergleichen. Die erste Pisa-Schulstudie, die 2001 von der OECD veröffentlicht wurde, löste in Deutschland wegen der offenkundig gewordenen Leistungsschwächen der 15-Jährigen einen Schock aus. Zahlreiche Schulreformen waren die Folge. Nur langsam geht es aufwärts - aber immerhin.

Es ist vor allem der harte Kern der Leistungsschwächsten, der den Bildungspolitikern große Sorge macht. Zwar ist die Zahl der Schulabbrecher zurückgegangen - mit knapp 60 000 jungen Menschen pro Jahr aber immerhin noch ein beträchtlicher Teil. 2,2 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren haben keinen Berufsabschluss und sind auch nicht mehr in Fort- oder Weiterbildung.

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Auf einen BlickUm Grundkompetenzen von Erwachsenen zu testen, haben Bildungsforscher einen großen Fragenkatalog erstellt. Wir haben aus den Kerndisziplinen "Textverständnis" und "mathematische Grundkenntnisse" vier Aufgaben verschiedener Niveaustufen ausgewählt. 1. Aussage:Der Ball ist rund.Anwortmöglichkeiten:Ja oder Nein 2. Aussage:Der Rasen ist lila.Anwortmöglichkeiten: Ja oder Nein 3. Aufgabe: Ausgangslage ist ein Kaffee-Sonderangebot - Sie erhalten zwei Packungen Goldstar-Kaffee zum Preis von einer. Frage: Sie kaufen zwei Packungen Kaffee. In Prozent ausgedrückt, wie viel haben Sie gespart? 4. Aufgabe: Im Jahr 2005 legte die schwedische Regierung den letzten Atomreaktor Barsebäck still. Der Reaktor hatte pro Jahr eine durchschnittliche Leistung von 3572 Gigawattstunden (GWh) an elektrischer Energie erzeugt. In Schweden geht der Bau von großen, der Küste vorgelagerten Windparks mit Windkraftwerken weiter. Jedes Windkraftwerk erzeugt im Jahr rund 6000 Megawattstunden (MWh) an elektrischer Energie. Zu Ihrer Information: Elektrische Energie wird in Wattstunden (Wh) gemessen.1 kWh = 1 Kilo Wh = 1000 Watt1 MWh = 1 Mega Wh = 1 000 000 Wh1 GWh = 1 Giga Wh = 1 000 000 000 WhFrage: Wie viele Windkraftwerke wären erforderlich, um die durch den Atomreaktor erzeugte Leistung zu ersetzen?

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