Streit um „Werbeverbot“ für Abtreibung Ein Kompromiss mit roten Linien

Berlin · Lange hat die große Koalition um eine Einigung zur Werbung für Abtreibung gerungen. Jetzt steht sie fest: Der umstrittene Paragraph 219a soll ergänzt werden. Reicht das?

.

.

Foto: SZ

Nur wenige Klicks – und schon ploppt eine Mail auf. Der Inhalt: Infos über Schwangerschaftsabbrüche. Die Webseite, auf die man dafür zugreifen muss: die eines x-beliebigen Hausarztes oder einer Hausärztin. Das Problem: Das ist bisher nicht möglich. Denn: Wer als Arzt auf seiner Internetseite über Abtreibung informiert, macht sich strafbar. Genau wie die Allgemeinmedizinierin Kristina Hänel, die sich seit Jahren über die Vorschriften hinwegsetzt. Letztendlich war es ihr Fall, der den gestern in Berlin präsentierten Kompromiss angeregt hat. Nach monatelangem Tauziehen haben sich Spitzenvertreter der Bundesregierung auf eine Absichtserklärung zur Neuregelung des umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche geeinigt. Im Januar soll demnach ein konkreter Gesetzentwurf vorliegen. Doch glücklich sind nicht alle über die Einigung. Vor allem die Opposition hadert mit der Verabredung.

Der von fünf Bundesministern ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass der Paragraph 219a beibehalten, aber um einen Passus ergänzt wird. Demnach sollen Ärzte und Kliniken über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Werbung für solche Eingriffe dürfe es aber auch in Zukunft nicht geben, erklärte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Die konkrete Ausformulierung dieses Spagats ist aber noch unklar. Details der Gesetzesergänzung sollen erst im Januar vorliegen.

Paragraf 219a verbietet „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche – demnach macht sich schon strafbar, wer „seines Vermögensvorteils wegen“ öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Die SPD wollte den Paragrafen komplett streichen, die CDU ihn beibehalten. Die jetzige Einigung ist eine Sowohl-als-auch-Lösung. Das Werbeverbot bleibt bestehen, aber die Informationen für Frauen, die ungewollt schwanger werden, werden verbessert. Demnach sollen künftig staatliche Stellen damit beauftragt werden, Informationen über Abtreibung zur Verfügung zu stellen. Konkret wären diese Stellen die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Damit würde sich nicht viel für Ärzte wie Kristina Hänel ändern. „Die Urteile, die es zu den Webseiten von Medizinerinnen und Medizinern gegeben hat, würden alle genauso gefällt werden, wie sie in der Vergangenheit ausgeurteilt worden sind“, kritisierte FDP-Chef Christian Lindner. Im November des vergangenen Jahres war die Gießener Allgemeinmedizinerin Hänel wegen des Verstoßes gegen den Paragraphen 219a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden. Es hätten ihr bis zu zwei Jahre Haft gedroht. Ginge es nach SPD, Linken, Grünen und FDP, sollte damit künftig Schluss sein. Der Chef der nordrhein-westfälischen SPD, Sebastian Hartmann, will zunächst den konkreten Gesetzentwurf abwarten, hat aber bereits eine Freigabe der Entscheidung ohne Koalitionszwang gefordert, als Gewissensfrage. So hatte man es auch mit der Entscheidung über die „Ehe für alle“ gehandhabt. Der Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post forderte mehr Aufklärung. Es herrsche nach wie vor noch Unsicherheit darüber, was Ärzte dürfen und was nicht. „Maßgeblich für mich ist, ob Ärztinnen wie die verurteilte Gießener Allgemeinmedizinerin Krisitina Hänel ihre alten Homepages ohne die Gefahr einer Verurteilung wegen unerlaubter Werbung wieder verwenden können“, sagte Post dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles war die erzielte Vereinbarung lediglich eine drei Zeilen kurze Pressemitteilung wert: Man freue sich über den Kompromiss und werde den genauen Gesetzestext im Januar „bewerten, beraten und darüber entscheiden“. Die SPD hatte dazu schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf unterbreitet, die Vorlage dann allerdings aus Rücksicht auf den Koalitionspartner wieder zurückgezogen. Denn die Union pocht auf die Beibehaltung des Werbeverbots. „Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für die CDU überragende Bedeutung“, stellte die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer klar.

Aus der Opposition hagelte es dagegen Kritik. „Ungewollt schwangere Frauen müssen sich informieren können“, meinte Grünen-Parteivize Gesine Agena. Die Ärzte dürften daher nicht länger für ihre medizinischen Auskünfte „kriminalisiert“ werden. Neben den Grünen machen sich auch die Linken und die FDP für eine Streichung des Werbeverbots-Paragraphen stark. Die große Koalition habe lediglich eine Ankündigung vorgelegt, im Januar eine Lösung zu präsentieren, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Das sei „nicht ausreichend“.

Bereits vor der Grundsatzeinigung der fünf Bundesminister hatten die Liberalen einen Antrag zur „unverzüglichen Streichung“ des Paragraphen 219a in den Bundestag eingebracht. Darüber sollte am gestern am späten Abend abgestimmt werden. Als wahrscheinlich galt aber, dass Union und SPD die Vorlage kraft ihrer Mehrheit in die zuständigen Ausschüsse überweisen würden, um einem neuerlichen Koalitionskonflikt noch vor Weihnachten zu entgehen.

In Deutschland kommt es jährlich zu etwa 100 000 Schwangerschaftsabbrüchen. Im ersten Halbjahr 2018 waren es rund 52 000.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort