Die Gewalt im Irak nimmt kein Ende

Basra/Istanbul. Dem Irak droht eine neue Katastrophe: Baathisten und Sufis vereinen sich zu einer starken Widerstandsgruppe, um die zunehmend autoritäre pro-iranische Schiiten-Regierung zu stürzen. Wieder starben mindestens 61 irakische Schiiten, Pilger auf dem Weg zum Heiligtum in Kerbala

Basra/Istanbul. Dem Irak droht eine neue Katastrophe: Baathisten und Sufis vereinen sich zu einer starken Widerstandsgruppe, um die zunehmend autoritäre pro-iranische Schiiten-Regierung zu stürzen. Wieder starben mindestens 61 irakische Schiiten, Pilger auf dem Weg zum Heiligtum in Kerbala. Der Terrorakt nahe der Stadt Basra ist der jüngste in einer Serie von Gewaltakten gegen Schiiten, seit die letzten US-Soldaten Ende Dezember den Irak verlassen haben.Eine angeblich von Al Qaida geführt Gruppe bekannte sich zu dem Blutbad, das eine lähmende politische Krise verschärft. Der Schiiten-Premier Maliki nützt nach Kräften seine Position, um sich zum neuen Diktator aufzubauen. Seine totale Kontrolle über die rund eine Million Mann zählenden Sicherheitskräfte jagt all jenen, die nicht von seiner wachsenden Macht profitieren, tiefe Ängste ein, allen voran den seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 ihrer Privilegien beraubten arabischen Sunniten.

Unter der sunnitischen Minderheit wächst die Angst vor der Zukunft in einem Land, das ihr jede Mitsprache zu verwehren droht. Vor diesem Hintergrund haben sich sunnitische Extremistengruppen, die nach der US-Invasion 2003 den Kern des blutigen Widerstandes gebildet hatten, neu formiert.

So verkündete die "Islamische Armee des Iraks" ihre "Helden, die das Reich des Bösen (USA) besiegt haben, sind in der Lage, auch dessen Handlanger zu vernichten". Auch die "Armee von Mudschaheddin" und die bis 2003 im nordirakischen Kurdistan stationierte "Ansar al Islam" schwor, den Konflikt gegen Maliki und die Schiiten zu eskalieren. Eine entscheidende Rolle in dieser sich neu formierenden Widerstandsszene spielt die "Jaish Rijaal al-Tariqa al-Naqshabandiyya: JRTN (Armee der Männer des Nakschabandi-Ordens), die einzige sunnitische Rebellenorganisation, die seit 2007 an Stärke gewonnen hat.

JRTN hat es verstanden, frustrierten, politisch an den Rand gedrängten Sunniten ein neues Sammelbecken zu bieten. Sie zieht Angehörige der gestürzten Baath-Partei Saddam Husseins an, aber auch stark religiöse orientierte Kräfte. Sie legt einen Schwerpunkt auf irakischen Nationalismus und stemmt sich damit gegen den wachsenden Einfluss des schiitischen Iran. "Wir kämpfen für die Einheit des irakischen Landes und seiner Bewohner, um seine arabische und islamische Identität zu erhalten", sagt ein JRTN-Sprecher.

Eine zentrale Rolle in der Organisation spielt Izzat Ibrahim al-Duri, einst Saddams Stellvertreter und das einzige prominente Mitglied des gestürzten Regimes, das immer noch auf freiem Fuß ist. Duri führt auch die von ihm gegründete "Neue Baath-Partei". JRTN trat erstmals im Dezember 2006, kurz nach der chaotischen Exekution Saddam Husseins mit der Ankündigung des gewaltsamen Widerstandes gegen die Koalitionstruppen in Erscheinung. Die Organisation bekennt sich als Teil der "Nakschbandi", einer der größten und einflussreichsten sufistischen Orden, der 1389 von Baha al-din Nakschband gegründet wurde. Obwohl die Nakschbandi als Pazifisten Gewalt ablehnen, verübte JRTN seit etwa 2009 zahlreiche Terrorakte gegen US-Militärziele, betonte jedoch, im Gegensatz zu "Al Qaida im Irak", das Leben der Iraker zu schonen.

Die Organisation zog Ex-Offiziere und anti-amerikanische Nationalisten an sowie einflussreiche arabisch-sunnitische Stammesführer, außerdem enttäuschte "Söhne des Iraks", Sunniten, die einst von den Amerikanern für den Kampf gegen Al Qaida angeheuert worden waren und bis heute vergeblich auf die Erfüllung des Versprechens warten, von Maliki in die Streit- und Sicherheitskräfte integriert zu werden.

Unter der über die diskriminierende Politik Malikis und die Gewalt schiitischer Milizen erbosten sunnitischen Zivilbevölkerung findet JRTN wachsende Sympathie. Die Organisation profitiert enorm von Duris immer noch starkem Einfluss unter Sunniten. Der unpolitische Nakschbandi-Orden hatte unter Saddam ein privilegiertes Dasein genossen und sich mit Hilfe Duris zu einer Art Bund entwickelt. Dieses Netz kommt der JRTN nun zugute. So wird sie finanziert von wohlhabenden Baathisten vor allem im jordanischen Exil, genießt aber auch die Unterstützung des jordanischen Geheimdienstes, der wie die Saudis höchstes Interesse hat, Irans Einfluss im Irak zurückzudämmen.

Zu ihren Zielen nennt JRTN die Wiedereinsetzung aller 600 000 Angehörigen der 2003 aufgelösten Sicherheitskräfte, die Auflösung aller seit 2003 geschaffenen Regierungsorgane und Gesetze, sowie die Freilassung von Tausenden sunnitischen Gefangenen und schließlich nichts weniger als die Rückkehr der Baath an die Macht. Malikis radikale anti-sunnitische Politik und sein despotischer Stil stärken diese Kräfte und treiben den Irak wieder an den Rand des Bürgerkrieges.

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