Die Gefangenen werden nicht mehr vergessen

Berlin. Begonnen hat alles mit einem Engländer, der besorgt nach Portugal blickte. Der britische Rechtsanwalt Peter Benenson las eine Meldung über zwei portugiesische Studenten, die zu sieben Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie als Trinkspruch "Freiheit" gerufen hatten - die Erwähnung des Wortes war während der Diktatur in Portugal verboten

Berlin. Begonnen hat alles mit einem Engländer, der besorgt nach Portugal blickte. Der britische Rechtsanwalt Peter Benenson las eine Meldung über zwei portugiesische Studenten, die zu sieben Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie als Trinkspruch "Freiheit" gerufen hatten - die Erwähnung des Wortes war während der Diktatur in Portugal verboten. Aufgewühlt von dieser Geschichte verfasste Benenson am 28. Mai 1961 im "Observer" einen Artikel mit dem Titel "Die vergessenen Gefangenen". Es war die Geburtsstunde der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.30 Zeitungen druckten den Artikel nach, in dem Benenson vorschlug, in Briefen an Regierungen die Freilassung gewaltloser politischer Gefangener zu fordern. Auf den "Appell für Amnestie" reagierten tausende Interessierte, die mitmachen wollten. Zunächst als Kampagne geplant, wurde eine feste Organisation mit Sitz in London gegründet, die nach 50 Jahren mehr als drei Millionen Mitglieder in über 150 Ländern zählt. Zu den deutschen Gründern zählten die Journalisten Gerd Ruge und Carola Stern.

Einen besonderen Schub erlebte Amnesty International in den 70er Jahren. Im Zuge des kritischen Zeitgeistes wuchs die Zahl der Orts-, Schüler und Studentengruppen vor allem in Deutschland rasant. Heute zählt die deutsche Sektion mehr als 110 000 Mitglieder und Unterstützer in 650 Gruppen. Die Gruppen seien der "Motor" von Amnesty, sagt Leonie von Braun, seit 2004 Ehrenamtliche bei Amnesty. Als Expertin für Völkerstrafrecht leitet die promovierte Juristin die Themengruppe gegen Straflosigkeit. "Ich suchte nach einer Möglichkeit, mich in dem Bereich politisch zu engagieren", sagt die 33-Jährige. In Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen verfassen die ehrenamtlichen Experten Berichte und betreiben Lobbyarbeit. Die Ortsgruppen seien es aber, die die Kampagnen "lebendig machen", sagt Braun. Dort werden auch die Eil-Aktionen umgesetzt, die eine Besonderheit der Amnesty-Arbeit sind.

Seit 1973 setzt sich Amnesty International mit "Urgent Actions" für einzelne Gefangene ein und hat nach eigenen Angaben in mehr als einem Drittel der Fälle Erfolg. So wurden nach den Briefaktionen in vielen Fällen Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt, Anklagen fallen gelassen oder Gefangene freigelassen. Auch Kampagnen gegen die Todesstrafe und gegen Folter zeigten Wirkung. Einer der Höhepunkte in der Geschichte der Organisation war die Verleihung des Friedensnobelpreises 1977.

Die Organisation fühlt sich nur der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet, politisch ist sie neutral. Sorgfältige Recherche ist ihr wichtig, und Undercover-Aktionen gibt es bei Amnesty nicht: Länder-Beobachter reisen stets offiziell in Staaten, wo sie Wochen, oft Monate verbringen, um in Gesprächen und Besuchen vor Ort Berichte von Menschenrechtsverletzungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die "Glaubwürdigkeit" war es, die den stellvertretenden Generalsekretär der deutschen Sektion, Wolfgang Grenz, von Amnesty überzeugt hat, bevor er dort 1979 als Jurist anfing. Während Parteien oder andere Gruppen Menschenrechtsverletzungen oftmals nur dann anprangerten, "wenn es ihnen politisch ins Geschäft passte", habe Amnesty auch in der Zeit des Kalten Krieges grundsätzlich Kritik geübt. Ihn habe die "Geradlinigkeit" der Organisation imponiert, sagt der 64-Jährige, der gern den entscheidenden Satz betont: "Die Menschenrechte sind universell."

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