Die Fußballwelt im Ausnahmezustand Das Internet als Zocker-Paradies

Hamburg. Kaum hat der deutsche Fußball nach dem Tod von Robert Enke den ersten Schritt zurück in die Normalität gemacht, herrscht erneut Ausnahmezustand: Nach Bekanntwerden des neuen Wettskandals muss sich der Fußball dem gesamtgesellschaftlichen Phänomen Kriminalität stellen

Hamburg. Kaum hat der deutsche Fußball nach dem Tod von Robert Enke den ersten Schritt zurück in die Normalität gemacht, herrscht erneut Ausnahmezustand: Nach Bekanntwerden des neuen Wettskandals muss sich der Fußball dem gesamtgesellschaftlichen Phänomen Kriminalität stellen. Der Präsident des Deutschen Fußball Bunds (DFB) Theo Zwanziger versprach am Wochenende lückenlose Aufklärung, Liga-Präsident Reinhard Rauball warnte vor Vorverurteilungen, Osnabrücks Kapitän Thomas Reichenberger setzte sich zur Wehr. Die Dimension des größten Wettskandals im europäischen Fußball ist noch nicht absehbar. Die Maßnahmen und Strafverfahren nach dem Skandal um den DFB-Schiedsrichter Robert Hoyzer im Jahr 2005 haben offensichtlich nichts bewirkt. Unter anderem hatten DFB und die Deutsche Fußball Liga (DFL) ein Frühwarnsystem zur Erkennung von auffälligen Spielen eingerichtet. Zwanziger sagte, sobald beweiskräftige Unterlagen vorliegen, "wird unser Sportgericht und der Kontrollausschuss die sportgerichtlichen Maßnahmen treffen und das entsprechend ahnden". Das Urteil könne "vielleicht sogar weit vor einer Anklageerhebung und einer richterlichen Entscheidung" fallen. Der DFB helfe bei den Ermittlungen. "Es liegt in unserem Sinne, dass die Staatsanwaltschaft das so aggressiv angeht." Für Zwanziger ist der Wettskandal ein gesellschaftliches Phänomen: Betrügereien gebe es nicht nur im Sport.Was war passiert? Laut Staatsanwaltschaft Bochum stehen europaweit 200 Spiele im Verdacht, manipuliert worden zu sein, darunter 32 Partien in Deutschland von der 2. Bundesliga abwärts. 15 Tatverdächtige wurden in Deutschland festgenommen, zwei in der Schweiz. Insgesamt sind neun Länder in Europa betroffen. Ausgezahlt wurden von den Wettbüros inEuropa und Asien nach vorläufigem Stand rund zehn Millionen Euro. Verdächtige Vereine, Spieler, Funktionäre oder Begegnungen hatten die Behörden nicht genannt. In Medien kursieren jedoch bereits Listen angeblich verschobener Spiele und verdächtiger Spieler.In Deutschland gerieten der VfL Osnabrück und der SSV Ulm in den Fokus. Osnabrücks Kapitän Thomas Reichenberger beteuerte am Samstag öffentlich im Stadion seine Unschuld. "Ich hatte nie Kontakt mit der Wettmafia und habe mit dem Wettskandal nichts zu tun", versicherte der 35-Jährige den Fans. Er habe bisher nur aus den Medien erfahren, dass die Zweitliga-Spiele beim FC Augsburg (0:3) am 17. April und beim 1. FC Nürnberg (0:2) am 13. Mai manipuliert sein könnten. In dem Zusammenhang wurden er und zwei ehemalige Mitspieler genannt. Beim Ex-Osnabrücker Marcel Schuon fand eine Hausdurchsuchung statt. Nach Angaben des Regionalligisten SV Wilhelmshaven untersucht der DFB einen Bestechungsversuch des Torhüters des Goslarer SC im Vorfeld des Punktspiels gegen Wilhelmshaven. Der Fall sei an die Poliezi übergeben worden, sagte Hans-Rainer Hansen, Spielleiter der Regionalliga Nord. Der Regionalligist SSV Ulm soll tiefer in die Affäre verwickelt sein als zunächst vermutet. So sollen vier Spiele der Schwaben aus der Endphase der vergangenen Saison unter Manipulationsverdacht stehen. Bei einem Spiel der Regionalliga Süd im Mai soll auch ein DFB-Schiedsrichter Schmiergeld von den mutmaßlichen Wett-Betrügern kassiert haben. Der ehemalige Bamberger Basketballer Ivan Pavic wurde im Zusammenhang mit den Ermittlungen festgenommen. DFL-Präsident Rauball übte am Wochenende aber auch harte Kritik an der Informationspolitik der Behörden in Bochum: "Ich habe es bedauert, dass die Liga und der DFB von der Staatsanwaltschaft nicht mit eingebunden wurden. Immerhin war das bei der Uefa der Fall", sagte er. Die DFL versuche Einsicht in die Ermittlungsakten zu bekommen.In den Fokus der Behörden ist auch ein nicht ganz unbekanntes Café am Berliner Kurfürstendamm gekommen. Hier nahm vor vier Jahren der Skandal um Schiedsrichter Robert Hoyzer seinen Lauf, wurden 2005 illegale Sportwetten in einem Hinterzimmer getätigt - organisiert von Ante Sapina und seinen Brüdern. Sapina wurde zu zwei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt. Nun wurde Sapina erneut festgenommen. Auf den Besuch eines Journalisten reagierten die Stammgäste - darunter auch Frauen und Kinder - am Wochenende empfindlich. Es dauerte nur wenige Minuten, und sie waren verschwunden. Hamburg. Fußballwetten sind die beliebtesten Sportwetten. Gezockt wird im Wettbüro oder - immer häufiger - im Internet. In Deutschland verbietet der Glücksspielstaatsvertrag, der 2008 in Kraft getreten ist, das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Netz. Aufträge beim staatlich lizenzierten Wettanbieter Oddset können nur in Lotto-Annahmestellen abgegeben werden. Allerdings finden sich im Netz unzählige Anbieter von Sportwetten, in der Regel mit Sitz im Ausland. Kaum jemand schert sich darum, dass illegales Internet-Glücksspiel auch für das deutsche Publikum im Überfluss angeboten wird. Tausende machen mit. Die Möglichkeiten für Fußballwetten sind riesig. Während sich der Zocker im Wettbüro im Vorfeld per Kreuzchen etwa auf den Sieger festlegt, hat er im Internet sogar die Möglichkeit, auf laufende Spiele zu tippen. Dabei kann er nicht nur auf das nächste Tor, sondern etwa auch auf die nächste rote Karte setzen. Zu den gängigsten Wettarten gehören:Einzelwette: Der Spieler sagt den Ausgang des Spiels voraus (Heimsieg, Auswärtssieg oder Unentschieden).Ergebniswette: Hier wird auf das genaue Ergebnis gesetzt, etwa 2:1 für den Verein xy.Halbzeit-/Endstandwette: Man muss nicht den genauen Spielstand, sondern nur die Tendenz tippen - also wer zur Pause führt und wer gewinnt.Kombinationswette: Es wird auf verschiedene Fußballspiele gesetzt. Um zu gewinnen, muss die ganze Tippreihe richtig sein.Systemwette: Sie besteht aus mehreren Kombiwetten. Allerdings müssen nicht alle Tipps richtig sein.Livewette: Es wird während des Spiels gewettet. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Wer schießt das nächste Tor, welcher Spieler erhält die nächste gelbe Karte, welche Mannschaft den nächsten Eckstoß? dpa

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